Handlung
1. Akt
Morgendämmerung in Verona. Auf einem Marktplatz erscheint Romeo von Montague. Sein bester Freund Mercutio versteckt sich, um ihn zu überraschen.
Zunehmend treffen Leute ein, darunter die rivalisierenden Familien Capulet und Montague. Eine Schlägerei entsteht. Der Bürgermeister schlichtet.
Im Schlafgemach bereitet die Nanny Julias Umzug für den kommenden Ball vor. Julia soll dort auf Wunsch ihrer Mutter Paris kennenlernen.
Auf dem Ball ist auch Romeo. Julia und Paris tanzen, in seinen Bann gezogen hat er sie allerdings nicht. Julia trifft auf Romeo. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Tybalt beobachtet die Szene. Er fordert Romeo zu einem Duell auf, wird aber von Lady Capulet daran gehindert.
Auf ihrem Balkon träumt Julia von Romeo. Plötzlich erscheint dieser. Erneut erklären sich beide ihre Liebe. Sie verbringen die Nacht miteinander.
2. Akt
Auf dem Marktplatz denkt Romeo an Julia. Seine Freunde Mercutio und Benvolio wollen ihn ablenken. Julias Nanny überreicht Romeo einen Brief. Julia bittet Romeo, zu Bruder Lorenzos Kapelle zu kommen. Dort sollen beide heimlich getraut werden.
Auf dem Marktplatz herrscht ausgelassene Stimmung. Doch Tybalt provoziert Mercutio und fordert ihn zum Kampf auf. Mercutio erliegt seinen Wunden. Verzweifelt ersticht Romeo daraufhin Tybalt.
Lady Capulet gerät in einen Wahn. Sie hatte eine Affäre mit Tybalt.
Romeo wird aus der Stadt verbannt.
3. Akt
Romeo und Julia wollen die Nacht gemeinsam verbringen, bevor Romeo Verona verlassen muss. Am Morgen erscheinen die Nanny, Lady Capulet und Paris. Julia soll Paris so schnell wie möglich heiraten. Julia lehnt Paris als Gatten ab. Sie überlegt, wie sie der Verheiratung entkommen kann und sucht Rat bei Bruder Lorenzo.
Dieser gibt ihr einen Trank, der sie in einen scheintoten Schlaf versetzen wird. Der Plan ist, dass Julia zum Familiengrab gebracht wird. Dorthin kann Romeo kommen, um mit ihr zu fliehen.
Julia gibt vor, Paris als Partner zu akzeptieren. Dann nimmt sie den Schlaftrunk. Die Nanny und Lady Capulet finden Julia scheinbar tot. Am Tag der geplanten Hochzeit. Schuldgefühle tauchen auf. Entsetzt bereiten sie die Beerdigung vor.
Romeo wurde von Bruder Lorenzo nicht über den Plan informiert. Als er vom angeblichen Tod Julias hört, glaubt er diese schreckliche Nachricht. Fassungslos geht er zum Familiengrab der Capulets. Dort trifft er auf Paris. Er tötet ihn. Verzweifelt nimmt er sich anschließend selbst das Leben.
«Die Liebe ist ein Rauch, der aus dem Dunst der Seufzer entsteht. Geläutert werden, ein Feuer, das in den Augen der Liebenden funkelt. Ein Meer, genährt von den Tränen der Liebenden.»Romeo
«Gebt mir meinen Romeo, und wenn ich sterben werde, Nimm ihn und zerschneide ihn in kleine Sterne, Und er wird das Antlitz des Himmels so schön machen, Dass alle Welt sich in die Nacht verliebt, Und der grellen Sonne keine Verehrung erweist.»Julia
Von Trauer und Träumen
Die Geschichte von Romeo und Julia ist zeitlos. Ihr Ursprungsmotiv einer gegenseitigen Liebe, die alle Widrigkeiten überwindet, reicht über Tristan und Isolde bis in die Märchen und Geschichten antiker Mythologien zurück. Denn die Frage, ob Liebe Hass, Gewalt und politische Differenzen überwinden kann, stellt sich bis heute. Auch für den Choreografen Alfonso Palencia. Und seine Antwort lautet: Ja, sie kann es! Denn der Wunsch nach gemeinsamem Frieden ist in allen von uns vorhanden. Die Capulets und Montagues hassen sich zwar, vermischen sich aber immer wieder. Wie Gangmitglieder in Leonard Bernsteins West Side Story mustern sie sich und geben vor, nichts miteinander zu tun haben zu wollen. Doch die gegenseitige Annäherung hat ihren eigentlichen Wunsch nach Frieden schon verraten. Was hält sie zurück? Sicher die historische Tiefe des Konflikts. Aber auch Protagonist:innen, die sich an ihm berauschen und alte Wunden immer wieder aufreißen. So etwa Tybalt. Er gönnt niemandem etwas. Und trotz seiner Affäre mit Lady Capulet kann er es nicht ertragen, Julia mit einem anderen Mann zu sehen. Er provoziert, wo er kann. Das färbt ab. Lady Capulet etwa denkt nur noch an sich und ihre Affäre. Doch nach Julias scheinbaren Tod bemerkt sie ebenso wie Julias Nanny die Sinnlosigkeit des Konflikts. Beide zeigen tiefe Schuldgefühle. Lady Capulet, weil sie das Wohl ihrer Tochter aus den Augen verloren hat. Und die Nanny, weil sie zu schwach war, um sich endgültig auf Julias Seite zu schlagen.
Bei aller Düsternis rückt Alfonso Palencia auch Verspieltheit und Träume ins Zentrum. In einer zeitlosen Kulisse genießen die Protagonist:innen immer wieder, wenn auch scheinheilig, gemeinsam das Leben. Kontakt halten, wie tief der Hass auch verankert sein mag: Dafür sind viel Stärke und guter Wille vonnöten. Doch bleiben so Räume für Träume. Bereits Prokofjews Klangmagie entfaltet sie. So träumt Julia in der Balkonszene zunächst von besseren Zeiten, die kurz darauf vorrübergehend wahr werden. Dabei hebt Prokofjew jede Regung des Inneren hervor. Eine anmutige Melodie von Streichervibrati wird vom hohen, tupfenden Holz und tiefen Bässen im Untergrund umrahmt. Aus diesen Polen quellen zunächst gegenseitige Verzauberung und Verletzlichkeit. Doch sie münden in einer vereinten Instrumentation, einem Strom aus Leidenschaft, der jegliche Grenzen überwindet. Anschließend glauben die Liebenden, alles überstehen zu können.
«Dies alles ist zu zart, um wahr zu sein.»William Shakespeare
Dafür wird die Kraft beider benötigt. Doch Prokofjew traute dies wohl nur Romeo zu. Denn die Musik lässt ihn mit vielseitigen Leitmotiven einen tiefergreifenderen Reifungsprozess als Julia erfahren. Im Stil eines Bildungsromans entwickelt er sich vom ungehobelten Draufgänger zum reflektierten Helden. Julia aber bleibt oft in ihrer Rolle als zierliche Frau haften. In der Choreografie erfährt sie jedoch eine Aufwertung. Denn während ihres Kampfes um Liebe muss sie nicht nur gegen einen tiefen Hass zweier Familien kämpfen, sondern auch gegen das förmliche Werben von Paris, der von den Capulets unterstützt wird, den Neid Tybalts und die Selbstsucht ihrer Mutter. Aus einem naiven Mädchen wird eine umsichtige, reflektierte und entschlossene Frau. Und Julia damit gleich stark wie Romeo. Denn Widrigkeiten überwinden, gelingt nur gemeinsam. Noch besser mit Liebe. Und sei es erst nach dem Tod.
Torben Selk
Balkonszene
Romeo
Sie spricht. Sprich weiter, Engel. Denn über mir bist du so schön, als hätte der Himmel einen Boten geschickt, wenn er auf schleichenden Wolken geht und jeden Menschenblick nach oben zieht.
Julia
Ach, Romeo, warum nur heißt du so. Dein Name ist nur mein Feind. Du bliebst du selbst, und wärst du auch kein Montague. Was ist denn Montague? Nicht Hand, nicht Fuß, weder Arm, noch Antlitz, noch ein anderer Teil des Mannes. Oh, ändre deinen Namen! Was ist ein Name? Was ich Rose nenne, riecht mit jedem Namen genauso süß. Genauso bewahrt Romeo seine Vollkommenheit, unabhängig von diesem Namen. Oh, Romeo, leg deinen Namen ab, und für den Namen, der kein Teil von dir ist, nimm mein ganzes Ich!
Romeo
Ich nehme dich beim Wort. Nenne mich Liebster, und ich bin neu getauft, ich will von nun an nicht mehr Romeo sein. Ich bin kein Steuermann, aber lebtest du am Ufer eines weit entfernten Ozeans: Den Weg zu finden, fiele mir nicht schwer.
Julia
So sehr ich mich über dich freue, so wenig freue ich mich über diese nächtliche Verbindung. Sie ist zu rasch, zu unbedacht, zu plötzlich. Zu ähnlich dem Blitz, der verschwunden ist, noch ehe man sagen kann: Es blitzt. Gute Nacht, Liebster! Diese Knospe aus Liebe kann sich durch den warmen Sommeratem zu einer schönen Blume entfalten, bis wir uns wiedersehn. Nun gute Nacht! Die süße Ruhe, die ich so tief empfinde, soll auch dein Herz erwärmen!
Impressum
HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2024/2025, Nr. 5
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
GENERELAMUSIKDIREKTOR Marc Niemann
REDAKTION Torben Selk
QUELLEN
Bennet, Karen: Star-cross’d Lovers. In: Cambridge Quarterly (32/4). Oxford 2003.
Danuser, Hermann / Rolf, Arnold: Sergej Prokofjew. Laaber 1990.
Press, Stephen D.: Prokofiev’s balletts for Diaghilev. Aldershot 2006.
Shakespeare, William: Gesammelte Werke. Aus dem Englischen von Wolf Graf Baudissin, August Wilhelm Schlegel, Dorothea Tieck und Gustav Wolff. Köln 2013.
Die Texte «Handlung» und «Von Trauer und Träumen» von Torben Selk sind Originalbeiträge für diesen Programmflyer. Zitate und Auszüge aus Gedichten wurden teils redaktionell bearbeitet.
Urheber:innen, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.