MIT FRISCHEM WIND ...
Im ersten Kammerkonzert unseres Philharmonischen Orchesters ist Musik zu hören, die zwischen den beiden großen Kriegen des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Auf der Suche nach neuen Wegen für eine Musik ihrer Zeit fanden die drei Komponisten des heutigen Abends ganz unterschiedliche Antworten. Gemeinsam ist ihnen allerdings, dass sie Bläserkammermusik schrieben, im Sextett von Francis Poulenc noch durch das Klavier ergänzt, und dem traditionellen Dur-Moll-System grundsätzlich treublieben.
Der Erste Weltkrieg unterbrach das Musikstudium von Jacques Ibert (1890 – 1962), als er sich gerade in die Kompositions- und Orchestrationsklasse des Pariser Conservatoires eingeschrieben hatte. Bis zum Kriegsende leistete er Militärdienst als Sanitäter. Kaum zurückgekehrt, gewann er 1919 den überaus renommierten Prix de Rome und schrieb nicht nur für den Konzertsaal, sondern auch für Film und Theater. Seiner Liebe für das Theater verdanken wir auch die Trois pièces brèves, die 1930 Teil einer komödiantischen Schauspielmusik waren. Und genau den leichten, unbeschwerten Ton einer Komödie trifft Ibert perfekt, sei es im spielfreudigen ersten Allegro, dem nachdenklicheren Andante oder dem, nach kurzer Einleitung, gesanglich-ausschwingenden Allegro scherzando.
Carl Nielsens (1865 – 1931) einziges Kammermusikwerk für Bläser, sein Quintett op. 43, verdanken wir einem Telefonat, das er mit einem befreundeten Pianisten führte, während im Hintergrund Musiker des Kopenhagener Bläserquintetts Mozarts Quintett für Bläser und Klavier KV 452 probten. Seine Liebe zur Musik Mozarts und seine Begeisterung für die unterschiedlichen Klangfarben der Blasinstrumente inspirierten ihn zu einem Werk, das bis heute zu den großen dieses Repertoires gehört. Nachdem das Fagott das erste Thema vorgestellt hat, entspinnt sich ein abwechslungsreiches Miteinander, bereichert durch die erweiterte Tonalität, wie sie auch für Nielsens Sinfonien so typisch ist. Das gesangliche zweite Thema stellt das Horn vor. In der fast klassisch zu nennenden Durchführung treffen alle Motive und Themen aufeinander, die Harmonien verschärfen sich, bis nach einem kurzen Innehalten das erste Thema wiederaufgenommen wird und der Satz sein Ende findet. Die Klarinette beginnt, vom Fagott begleitet, das folgende Menuett. Im Trio ist die anmutige, pastorale Atmosphäre vom Anfang aufgelöst, um sich in der Wiederholung wiedereinzustellen. Harsche Harmonien prägen das ernste Präludium, mit dem der letzte Satz beginnt, bis dann das schlichte Thema über den eigenen Choral «Mein Jesus, lass mein Herz empfangen» vorgestellt wird. Nielsen selbst beschreibt die elf folgenden Charaktervariationen als «bald munter und barock, bald elegisch und ernst, schließlich mit dem Thema in aller Einfachheit und mit ganz bescheidenem Ausdruck endend.»
Francis Poulenc (1899 – 1963) gehört zu einer ganzen Gruppe von Komponisten, die sich nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs von überkommenen Musiktraditionen lösen wollten. Sie waren auf der Suche nach einer Musik, die «auf der Erde steht» und in ihrer «Clarté» das Publikum direkt anspricht. «Vollendet, rein, ohne überflüssiges Ornament», wie es Jean Cocteau als geistiger Vordenker formulierte. Poulenc begann 1931 die Komposition seines Sextuors und galt zu dieser Zeit trotz einiger kompositorischer Erfolge außerhalb von Fachkreisen immer noch als ein «angenehmer Dilettant». Damit sich das ändert, plante er in Paris ein «Festival Poulenc», ein Konzert mit eigenen Werken. Eines davon das Sextett. Ganz überzeugt war er von der Uraufführung nicht, ebenso sein Verleger. Poulenc überarbeitete 1939 das Werk noch einmal komplett und fand, dass es «in seinen neuen Proportionen wesentlich ausgewogener ist und klanglich sehr klar erscheint.» Vier ansteigende Tonleitern eröffnen das muntere Treiben des ersten Allegro vivace, bis eine kurze Überleitung des Fagotts in ernste Sphären überleitet. Der folgende gesangliche Abschnitt gerät nach einem großen Aufbäumen ins Stocken, ehe der quirlige Anfang wieder übernimmt und vier Tonleitern den Schlusspunkt setzen. Im folgenden Divertissement entsteht durch weit ausholende Melodiebögen eine geradezu idyllische Atmosphäre, die ein Mittelteil in fröhlicher Gassenhauermanier unterbricht, bis die Klarinette die Idylle des Anfangs wiederherstellt. Das Finale ist ein fröhlicher Kehraus mit vielen ironischen Brechungen, bis das Fagott einen wehmütig-langsamen Schlussteil einleitet. War alle Fröhlichkeit nur Schein? Ist die Kunst doch nicht so unbeschwert? Fragen, die wir uns gerne selbst beantworten dürfen.
Hermann Keßler
Programm
JACQUES IBERT
Trois pièces brèves
Allegro
Andante
Assez lent – Allegro scherzando
CARL NIELSEN
Quintett für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott op. 43
Allegro ben moderato
Menuet – Trio
Präludium – Tema con variazioni
PAUSE
FRANCIS POULENC
Sextett für Klavier, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott und Horn FP 64
Allegro vivace
Divertissement. Andantino
Finale. Prestissimo