Programm
JOSEPH HAYDN
Streichquartett F-Dur op. 50/5 Hob. III:48 «Der Traum»
Allegro moderato
Poco adagio
Menuetto
Finale: Vivace
DMITRI SCHOSTAKOWITSCH
Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110
Largo
Allegro molto
Allegretto
Largo
Largo
PAUSE
LUDWIG VAN BEETHOVEN
Streichquartett Nr. 9 C-Dur op. 59/3
Introduzione. Andante con moto – Allegro vivace
Andante con moto quasi Allegretto
Menuetto. Grazioso
Allegro molto
FACETTEN DER FREIHEIT
Joseph Haydn (1732 – 1809) hat weder die Sinfonie noch das Streichquartett erfunden, aber seine Beiträge führen aus dem späten Barock bis in die frühe Romantik und zeigen eine ungebrochene Lust am Experimentieren und permanenten Verfeinern seiner satztechnischen Möglichkeiten. Die Quartett-Serie op. 50 ist eine Reaktion Haydns auf die ihm von seinem Freund Mozart gewidmeten Haydn-Quartette. In diesen Quartetten beschränkt sich Haydn im Unterschied zu den vorausgegangenen auf nur ein Thema in den Sätzen und lotet dafür umso intensiver die Möglichkeiten aus, die sich daraus ergeben. Im ersten Satz des Quartetts Nr. 5 fallen die störenden Cis-Vorhalte auf, die zwar immer wieder das harmonisch-fröhliche Miteinander unterbrechen, den Satz aber auch voranbringen. Den Beinamen «Der Traum» verdankt das Quartett den rhapsodisch-träumerischen Linien der ersten Violine, die sich über einem ruhig-voranschreitenden Klangteppich der übrigen Instrumente bewegt. Das Menuett hat mit seinen Vorhalten die traditionell-höfische Tanzfläche längst verlassen, wenn am Ende noch der Dreiertakt aufgelöst wird. Auch das Trio vermag die innere Spannung nicht zu lösen, sondern verstärkt sie in seiner harmonischen Konzentration. Tänzerischer wirkt da das 6/8-Finale, das mit reichlich virtuo-sem Laufwerk dem Ende zueilt.
Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975) hielt sich 1960 in der Nähe von Dresden auf, um Musik zu einem deutsch-sowjetischen Film zu schreiben. Während dieses Aufenthaltes komponierte er sein Streichquartett Nr. 8 innerhalb von drei Tagen und schrieb an einen Freund: «Wie sehr ich auch versucht habe, die Arbeiten für den Film im Entwurf auszuführen, bis jetzt konnte ich es nicht. Und stattdessen habe ich ein niemandem nützendes und ideologisch verwerfliches Quartett geschrieben. Ich dachte darüber nach, dass, sollte ich irgendwann einmal sterben, kaum jemand ein Werk schreiben wird, das meinem Andenken gewidmet ist. Deshalb habe ich beschlossen, selbst etwas Derartiges zu schreiben. Man könnte auf seinen Einband auch schreiben: ‹Gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts›.»
Schon die ersten vier Töne des Violoncellos stehen für Schostakowitschs Initialen D-S-C-H und verweisen auf den autobiografischen Bezug. Das Motiv ist permanent präsent und findet immer wieder choralhaft tröstend zur Grundtonart c-Moll zurück. Nach dem verhaltenen Ende setzt brutal der zweite Satz ein. Akzentuierte Akkorde begleiten kontrastierend ein schnelles, auf- und ablaufendes Vier-Ton-Motiv. Eine Episode, die zwischen Lachen und Weinen schwankt, wird eingeflochten – die Musik treibt es bis zum unvermittelten Beginn des wie ein makabrer Walzer wirkenden dritten Satzes. Hier wird der Dreiertakt immer wieder zugunsten Polka-ähnlicher Passagen über Bord geworfen. Ein langer Ton im Pianissimo beendet diesen Satz, und schwere Fortissimo-Akkorde führen zum vierten Satz. Eine Musik der Trauer erklingt. Das Revolutionslied Gequält von schwerer Gefangenschaft wird zitiert (es erklang auch bei Lenins Beerdigung), gefolgt von einem Liebesgesang des Cellos – wie aus seiner Oper Lady Macbeth von Mzensk. Die harten Akkorde vom Satzbeginn zerstören diese Stimmung. Im letzten Satz erscheinen die Initialen in einer Fuge wieder, bis das Stück im Pianissimo erstirbt.
Als Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) um 1804 auf Wunsch des russischen Gesandten in Wien, Graf Rasumowsky, die drei Quartette op. 59 schrieb, hatten Haydn und Mozart den Standard gesetzt und Beethoven mit seinem Opus 18 fünf Jahre zuvor seine erste Quartettserie vorgelegt. Der Kampf um sein Gehör hatte eingesetzt und sich so verschlechtert, dass er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Aber in die Skizzenblätter zum Quartett des heutigen Abends schrieb er: «Kein geheimnis sey dein Nichthören mehr – auch bey der Kunst.» Ob die Quartette sein Ringen mit der Tragödie nachzeichnen, lässt sich nicht sagen. Aber der unbestimmte Anfang von op. 59/3 benötigt über 40 Takte, bis sich das erste Thema im Tutti etablieren kann, als wäre Beethoven ein Suchender, um dann förmlich ein Feuerwerk in C-Dur zu entfachen. Anders ist die Stimmung im langsamen Satz. Ob Graf Rasumowsky sich russische Volksthemen in den Quartetten wünschte, ist nicht klar. In den vorausgegangenen dieser Serie sind sie zu finden. Hier aber entwickelt sich über dem gezupften Violoncello im wiegenden 6/8-Takt eine exotische Atmosphäre, die von dynamischen Schwerpunkten gestützt wird und nur kurz aufhellt. Das Menuett scheint ein besinnlicher Rückblick auf Vergangenes, wobei diese mit Grazie vorgetragene Stimmung immer wieder, auch im Trio, gebrochen wird. Eine nach Moll eingetrübte Coda leitet in den Finalsatz. Ein Glanzstück aus zündender Musizierlust und höchster Virtuosität ist dieses Allegro molto, wenn die Bratsche das Fugato-Thema vorstellt (als Titelmusik zu Marcel Reich-Ranickis Büchersendung Das literarische Quartett bekannt), die anderen Instrumente sich anschließen und dem furiosen Ende entgegenwirbeln.
Hermann Keßler