Interview mit Konzertpädagogin Ulrike Hönig
Liebe Ulrike, einige Besucher konnten dich bereits beim Theaterfest kennenlernen und erleben, und auch mit einigen Schulen bist du schon länger in Gesprächen. Bist du gut in Bremerhaven angekommen? Hast du schon einen Lieblingsplatz hier gefunden?
Es ging wirklich schnell, hier anzukommen und Anschluss zu finden. Dafür bin ich dankbar, denn mein Wechsel an diesen Ort kam sehr plötzlich. Meinem Besuch zeige ich abgesehen vom Stadttheater immer das Klimahaus und habe mir eine Jahreskarte gekauft.
Bevor du zu uns an das Philharmonische Orchester Bremerhaven gekommen bist, warst du drei Jahre als Musiktheaterpädagogin an der Jungen Oper Stuttgart engagiert. Von einer Großstadt mit einem großen Opernhaus an ein Stadttheater in einer deutlich kleineren Stadt – wo liegen für dich die Unterschiede, Herausforderungen oder auch Gemeinsamkeiten?
Ich hätte mir kaum zwei gegensätzlichere Städte aussuchen können. Größe, Landschaft, Publikumsgeschmack, finanzielle Mittel, die Mentalität der Menschen auf der Straße… ich könnte einen langen Aufsatz über die Kontraste schreiben. An dieser Stelle mal nur ein praktisches Beispiel, das meine tägliche Arbeit betrifft: Während ich in Stuttgart oft eine vom dichten Bildungsplan und Helikoptereltern ausgelaugte Schar Jugendlicher vor mir hatte, die es erst einmal galt, wach zu machen und zu ermutigen, beherzt Kraftausdrücke zu schreien, finde ich in Bremerhavener Schulen bisher viel ungebändigte Energie und Leben, das aber noch nicht so recht weiß, wohin mit dem Potential und was damit alles möglich ist. Oder dass man nicht immer selbst laut sein muss, sondern sich zwischendurch zurücklehnen und das Zuhören genießen kann. Insofern fordern mich die Workshops hier auf eine ganz andere Weise mit genauso viel Reiz.
Welche Aufgaben zählen zu deinem Bereich und worauf legst du bei deiner Arbeit besonderen Wert?
Sowohl intern als auch extern ist meine Arbeit eine vermittelnde: zwischen verschiedenen Abteilungen im Haus sowie zwischen Orchester und Publikum. Da meine Stelle neu geschaffen wurde, gilt es also immer noch, mich zwischen diesen Instanzen zu orientieren und eine klare Linie für das Vermittlungsprogramm zu etablieren, die zu dieser Stadt und diesem Orchester passt. Neben der Entwicklung von Konzepten und organisatorischen Aufgaben bedeutet mir der direkte Kontakt zum Publikum viel. Ich möchte – zusammen mit dem Orchester – vor allem die jungen Leute an die Hand nehmen und ihnen zeigen, was für ein beeindruckendes Erlebnis ein Konzertbesuch sein kann. Dabei bin ich aber kein Geschäftsmensch, sondern eine Türenöffnerin. Das funktioniert nur, indem ich authentisch bleibe und auch akzeptiere, wenn jemandem etwas nicht gefällt. Für den finden wir etwas anderes. ;)
Früher Vogel oder Nachteule – wann bist du am kreativsten?
Obwohl ich für Workshops manchmal sehr früh aufstehen und entsprechend rechtzeitig schlafen gehen muss, bin ich tatsächlich eindeutig eine Nachteule.
Der Beruf MusikvermittlerIn/Musik- oder auch KonzertpädagogIn ist gemessen an den anderen Berufen im Theaterbereich ein eher «junges Küken». Warum denkst du, dass es so wichtig geworden ist und der Bedarf an solchen Stellen zur Zeit allerorten enorm steigt?
Ein weites Feld! Ich behaupte, dass der Bedarf schon etwas länger da war als er erkannt wurde. Sonst dürfte es im Publikum keine Alterslücke geben. Viele lernen die zeitlose Musik nicht mehr durch ihr Elternhaus kennen. Sie würde ihnen vielleicht gefallen, aber ohne ein Live-Erlebnis bleibt Orchestermusik süffige Begleitung in kurzen Werbespots, ein digital komprimierter Abklatsch dessen, was sie kann. Nicht nur in der Musik müssen wir wieder lernen, uns ganz auf etwas einzulassen, zuzuhören und Gefühle zuzulassen. Wer das als Kind nicht lernt, hat es später schwer. Und Musik ist dafür ein ganz tolles Medium. Damit die nächste Generation dieses Privileg noch hat, brauchen wir bereits jetzt ein Publikum, das es in Anspruch nimmt. Denn obwohl hier und da neue Vermittlungsstellen geschaffen werden, verschwinden währenddessen leider ganze Orchester von der Bildfläche. Das können wir Musikvermittler nicht mehr allein aufhalten, dafür brauchen wir Unterstützung von allen Seiten.
Wie ich weiß, leistest du tagtäglich enorm viel kreative Arbeit. Wo oder wie tankst du neue Energie bzw. neue Ideen?
Als Ausgleich zu meiner Arbeit mit Menschen brauche ich viel Zeit für mich allein. Abends abschalten, morgens heiß duschen und in der Morgensonne entspannt frühstücken wirkt Wunder. Meine besten Ideen kommen in der Regel beim Spazierengehen, wenn ich eigentlich gerade über etwas anderes nachdenke. Trotz Me-Time ist es mir wichtig, im Austausch mit anderen Menschen zu bleiben. Gemeinsam entsteht oft mehr als an zwei getrennten Schreibtischen.
Was hat dich in jungen Jahren dazu bewegt oder inspiriert, diesen Berufsweg einzuschlagen?
Da muss ich meinen Eltern danken, die es immer schon verstanden haben, Musik spannend zu vermitteln. Als ich älter wurde, hat mir Musik durch die Teenagerzeit geholfen. Sie war mir eine starke Stütze und ist es noch. All das möchte ich nun weitergeben.
Womit kann man dir immer ein Lächeln aufs Gesicht zaubern?
Mit einer Aufforderung zum Tanz.
Und zum Schluss zur Rubrik «Pleiten, Pech & Pannen»: Erzähl uns dein schlimmstes, lustigstes oder schönstes Erlebnis in deiner bisherigen Berufslaufbahn!
Ich nehme ein schönes Erlebnis. Während eines Sitzkissenkonzerts in Stuttgart fing plötzlich eine Kita-Gruppe an, passend zum Takt der Musik mit der Zunge zu schnalzen. Es war eine Gruppe geflüchteter Kinder, die noch kaum Deutsch konnten, aber diesen kulturellen Brauch gemeinsam hatten, durch Schnalzen ihr Gefallen auszudrücken. Das ganze Publikum schloss sich diesem freudig-versunkenen Schnalzen spontan an. Solche Momente sind unbezahlbar.
Das Interview führte Diana Veiser.