DER AUTOR
Evan George Patrick Barlow, wie er mit vollem Namen heißt, ist am 18. März 1947 in Leicester geboren. Er ist Schauspieler, Comedian und Dramatiker. Bekannt ist er in England unter seinem Bühnennamen Desmond Olivier Dingle, der als Gründer, künstlerischer Leiter und konstante Hälfte des Komiker- Duos cccccNational Theatre of Brent» auf der Bühne, im Rundfunk und im Fernsehen seit 1980 eine feste Größe im britischen Showbusiness ist.
Er hat in seiner langen Karriere unter anderem in Terry Pratchetts Radioadaption von Small Gods die Rolle des Om gesprochen, die weltweit erfolgreiche Bühnenadaption des Hitchcock-Films Die 39 Stufen geschrieben und den Max in Absolutely Fabulous gespielt. Außerdem spielt er oft und gerne kleine, markante Rollen in großen Filmen wie Shakespeare in Love, Notting Hill oder Bridget Jones. Zu seinen TV-Arbeiten als Autor gehören die Drehbücher zu Revolution! (1989), Van Gogh (1989 auf der Berlinale als «Bestes Fernsehspiel» mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet), The True Adventures of Christopher Columbus (1992) und Queen of the East (1994).
Das kleinste Nationaltheater der Welt
In der Tradition der britischen Komiker-Duos à la «Morecambe and Wise», die wiederum ihre eigenen Vorläufer haben, hat Patrick Barlow 1980 das Scheintheater «National Theatre of Brent» gegründet. Es besteht aus dem Gründer und Direktor Desmond Olivier Dingle (verkörpert von Barlow selbst) und seinem Assistenten (oder wie Desmond es nennt «seinem kompletten Ensemble»), der zuerst von Julian Hough verkörpert wurde. In der Folge übernahmen verschiedene Schauspieler diese Aufgabe, unter anderem Jim Broadbent (als Wallace), Robert Austin (als Bernard) und John Ramm (als Raymond Box).
Die Produktion Love Upon The Throne mit Barlow als Prince Charles und Ramm als Lady Di war als «Beste Komödie» für den Laurence Olivier Theatre Award 1998 nominiert. Die fünfte Produktion der Truppe war 1983 The Messiah, ein Jahr nachdem Desmond und Bernard Wagners Ring zu zweit auf die Bühne gebracht hatten. Ein Prinzip des «National Theatre of Brent» ist es, in England populäre Stoffe oder Personen in halb geschriebenen, halb improvisierten Comedy-Shows auf die Bühne zu bringen, in denen ganz nach Murphys Gesetz schiefgehen wird, was schiefgehen kann. Desmond Dingle und seine wechselnden Partner haben seit Bestehen über 25 Shows für Bühne, Fernsehen und Radio produziert.
Ein echter Dauerbrenner
Die deutschsprachige Erstaufführung von Der Messias war am 11.12.1987 am GRIPS Theater in Berlin, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg läuft als Wiederaufnahme eine Basler Produktion von 1988 mit Michael Wittenborn und André Jung, am S‘ensemble Theater Augsburg feiert man in diesem Jahr 20-jähriges Jubiläum und auch in Münster am Pumpenhaus läuft es seit Jahrzehnten. Da die Rechte nicht von Anfang an beim Rowohlt Verlag lagen, ist es schwer zu sagen, wie viele deutschsprachige Inszenierungen es bisher gab, aber es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass es sich um einen echten Dauerbrenner handelt. Seit Der Messias bei Rowohlt im Programm ist, sind es fast 100 Inszenierungen. Am Stadttheater Bremerhaven läuft das Stück allerdings zum ersten Mal.
Peter Hilton Fliegel
Stand-up-Comedy
Stand-up-Comedy ist eine komödiantische Darstellungs-form vor Publikum, in der die Darstellenden das Publikum direkt anspielen. Sie besteht aus Einzeilern, Geschichten, alltäglichen Beobachtungen oder abgeschlossenen Szenen, die Requisiten, Musik, Zaubertricks oder Bauchrednerei beinhalten können. Vorstellungen von Stand-up-Comedy-Shows können fast überall stattfinden, wo genug Menschen zusammenkommen können und es eine Art von Bühne gibt. Das kann ein Pub sein, ein Nachtklub, ein Varieté, eine Aula oder ein reguläres Theater.
Die Wurzeln der Stand-up-Comedy gehen zurück auf Traditionen des komischen Theaters im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, wie sie in Minstrel Shows, im Vaudeville, den Burlesken und der britischen Music Hall entwickelt und gepflegt wurden. Die erste Erwähnung des Begriffs findet sich 1911 in der englischen Zeitschrift «The Stage» in einem ausführlichen Bericht über eine Frau namens Nellie Perrier, die «spontan komische Liedchen in einer flotten und bezaubernden Weise» vorgetragen hätte. Später hat sich der Begriff dann auf gesprochene Komiker-Auftritte übertragen.
Der englische Ausdruck «stand up», meist mit «aus dem Stegreif» übersetzt, ist nicht gleichzusetzen mit der Improvisation, bei der das darstellerische Material auf einem musikalischen, literarischen oder inhaltlichen Thema basierend im Moment erfunden wird. Eine Stand-up-Routine kann sehr wohl aus geschriebenem Text bestehen, dessen szenische Umsetzung vorher geprobt wurde. Charakteristisch ist dennoch die Darbietung ohne lange Vorbereitung. «Aus dem Stegreif» steht ja für die Idee, dass man etwas tut, ohne vom Pferd zu steigen, also aus dem Moment heraus. Ein weiteres Element ist das direkte Adressieren des Publikums, also wie man im Theater sagt «ohne vierte Wand»: Es gibt keine Grenze zwischen Publikum und den Spielern.
Dem Publikum kommt bei der Stand-up-Comedy eine besondere Rolle zu. Laut der Kommunikations-Forscherin Anna Spagnolli ist das Publikum hier «Mit-Entwickler der Situation und folglich mit-verantwortlich» für die Wirkung. Das Publikum schließt einen unausgesprochenen Vertrag mit dem Comedian, in dem beide vorübergehend die üblichen gesellschaftlichen Regeln missachten und die Erörterung von unerwarteten, kontroversen oder skandalösen Inhalten zulassen. Seine Bereitschaft, diese Voraussetzung zu verstehen und zu schätzen, entscheidet darüber, ob ein Scherz Gelächter oder Ablehnung hervorruft.
Stand-up unterscheidet sich von allen anderen darstellenden Künsten in besonderer Weise: Die Spieler sind in der Regel alles, was auf der Bühne ist, sie richten sich direkt ans Publikum und das Material sollte wie eine spontane Äußerung wirken, egal ob es geschrieben oder improvisiert ist. Darüber hinaus werden nur die Comedians wirklich ihr Ziel erreichen, die diese Spontaneität beherrschen, einerseits Zwischenrufe im Zaum halten und zugleich eine Atmosphäre der Intimität herstellen.
Die Anziehungskraft dieser Kunstform für das Publikum besteht unter anderem darin, dass es die Fertigkeiten der Spieler per se wertschätzt, weil die meisten Menschen es extrem einschüchternd finden, auf einer Bühne zu stehen. Forschungen unzähliger Einrichtungen sind über die Jahre zum Schluss gekommen, dass die Furcht, in der Öffentlichkeit zu sprechen, verbreiteter ist als die Angst vor dem Tod. Oder, wie es der Komiker Jerry Seinfeld formuliert: «Laut den meisten Studien ist die Angst Nummer Eins der meisten Leute die öffentliche Rede. Der Tod landet auf Platz zwei. Das bedeutet, dass der Durchschnittsmensch bei einer Beerdigung lieber im Sarg liegen würde, als die Grabrede zu halten.»
Peter Hilton Fliegel
Ein paar Fachbegriffe
Beat (Schlag) - Eine kurze Pause für das richtige Timing.
Bit (Stückchen) - Ein Baustein einer komischen Routine.
Bombing (Flop) - Das Scheitern beim Versuch, Lacher zu erzeugen.
Callback (Rückruf) - Bezug auf eine Pointe, die früher am Abend schon gesetzt wurde.
Chewing the scenery (sich im Bühnenbild verbeißen) - Übertrieben theatralisch spielen oder zu sehr nach einem Lacher streben, besonders wenn man gerade ein «Bombing» erlebt hat.
Clapter (Kofferwort aus «clap» klatschen und «laughter» Lacher) - Wenn das Publikum sein Einverständnis mit einer Aussage feiert, die es nicht komisch genug findet, um darüber zu lachen.
Killing and dying (killen und sterben) - Wenn ein Stand-up killt, läuft es gut, wenn er stirbt, läuft es mies.
Mugging (grimassieren) - Alberne Gesichter ziehen, um sich billige Lacher abzuholen.
Punter (Freier) - Ein Mitglied des Publikums – wird hauptsächlich in Großbritannien verwendet.
The Room (Der Raum) - Der Ort, an dem die Vorstellung stattfindet. Stand-ups können «den Raum hören», um Zeichen des Publikums zu lesen, oder sie können «den Raum bearbeiten», indem sie direkt mit dem Publikum interagieren.
Warm up (aufwämen) - Ein «kaltes» Publikum aufwärmen mit einer besonders dafür eingeübten Nummer. Wird oft angewendet vor Fernsehaufzeichnungen mit Live-Publikum.
Work out (Traning) - Der Prozess, in dem neue Gags über eine gewisse Zeit ausprobiert und ausgefeilt werden.
Timing und Energie
Regisseurin Daniela Urban im Gespräch
Es gibt zum Thema Komödie ein paar alte Glaubenssätze im Theater, die ihre Gültigkeit nie verloren haben. Zum Beispiel der, dass Komödie viel schwerer sei als Tragödie. Ob da etwas dran ist und wenn ja, was, dem versucht Dramaturg Peter Hilton Fliegel im Gespräch mit Regisseurin Daniela Urban ein wenig auf den Grund zu gehen. Daniela Urban stammt aus Göttingen und ist ein «alter Theaterhase». Sie hat zunächst ab 2005 am Jungen Theater Göttingen theaterpädagogisch gearbeitet, war dann ab 2009 im Team unter Hasko Weber an den Württembergischen Staatstheatern Stuttgart und hat ab 2014 die Theaterpädagogik der Württembergischen Landesbühne Esslingen geleitet. Seit 2018 ist sie freischaffend und widmet sich seitdem vermehrt dem Regieführen.
Das erste Mal an einem neuen Haus ist aufregend, wie geht es Deinen Nerven?
Dank der tollen Menschen, mit denen ich arbeiten darf, geht es den Nerven erstaunlich gut. Wir haben zu Beginn der Produktion gleich mal zehn Tage Probenzeit verloren, weil ich und zwei weitere Kollegen an Corona erkrankt waren. Jetzt bleiben uns noch ein paar Tage bis zur Premiere und ja, das ist schon aufregend, in der Hälfte der eigentlich geplanten Zeit eine Komödie auf die Bühne zu bringen. Es haben sich alle reingestürzt und wir sind auf einem sehr guten Stand. Ich freue mich auf die Endproben und die Premiere.
Warum ist es so höllisch viel und so penible Arbeit, Komik zu erzeugen?
Komik ist vor allem dann gut, wenn sie aus der Situation entsteht und Erwartungshaltungen gebrochen werden. Figuren, die sich mit unerwarteten Überraschungen konfrontiert sehen, daraufhin spontan kreative Lösungsansätze finden müssen und sich in ihrer Not immer weiter in die Absurdität verstricken, sind sehr komisch. Das Schwierige daran ist, diese Überraschungen und unerwarteten Überforderungen, die ja allen Spielern auf der Bühne bekannt sind, immer wieder neu zu behaupten und ganz frisch und naiv auf die Situation zu reagieren. Das ist vor allem eine Frage des Timings und der Energie, die minutiös wiederholbar sein müssen und das erfordert sehr viel Disziplin und Genauigkeit.
Hast Du Vorbilder für diese Art der Komik?
Buster Keaton und Charly Chaplin sind Meister der Situationskomik und an Präzision kaum zu übertreffen. Da kann man viel lernen. In Patrick Barlows Der Messias entsteht die Komik aber auch dadurch, dass die Geschichte des Messias ja grundsätzlich bekannt ist und man eben eine Erwartungshaltung hat, was die Nacherzählung betrifft. Die Figuren des Stücks finden ein paar ungewöhnliche Lösungen für Situationen wie das erste Kennenlernen von Josef und Maria, eine römische Volkszählung in Nazareth oder Mariä Verkündigung. Das erinnert dann im Stil vielleicht eher an Größen wie Monty Python.
Was wirst Du nach der Premiere machen?
Erstmal schlafen und dann geht es gleich weiter mit den Endproben eines Performance-Projektes zum Thema Frauenrivalität mit dem schönen Titel Stutenbiss. Für das handelsübliche Premierenloch und das Vermissen der lieben Menschen hier ist also leider keine Zeit. Aber ich werde mit Sicherheit bald zu einer Vorstellung zu Besuch kommen.
«Sie folgen Führern»
GOTT: Sprich, Gabriel. Was gibt’s Neues von der Erde?
GABRIEL: Ich will mal so sagen: der Erde geht es ganz schlecht.
GOTT: Schlecht?
GABRIEL: Ihr Weinen zerreißt die Luft.
GOTT: Weinen! Warum weint sie? Kümmert sich niemand um sie?
GABRIEL: Die Steine, die Bäume, das Gras, alles, was da kreucht und fleucht, ist ihr zugetan, außer einem – kriechenden Etwas.
GOTT: Und was ist das?
GABRIEL: Der Mensch.
GOTT: Der Mensch?
GABRIEL: Die menschlichen Wesen.
GABRIEL: Die menschlichen Wesen.
GOTT: Aber sie sind gemacht aus ihr! Sie tanzen auf ihr!
GABRIEL: Ja – aber jetzt ist das anders.
GOTT: Aber sie formten Kreise aus Steinen, sprachen zu den Adlern, sangen mit dem Meer!
GABRIEL: Ja – das haben sie mal gemacht.
GOTT: Und sie tun es nicht mehr?
GABRIEL: Nein. Jetzt bringen sie die Wale um.
GOTT: Oh Gott – und keiner liebt die Erde? So wie ich – sie liebe?
GABRIEL: Nein. Na gut, ein paar. Vor allem Frauen. Die Männer wandeln im Finstern und drehen durch. Sie folgen Führern.
GOTT: Führern?
GABRIEL: Herodes, Kaiser Augustus, Pontius Pilatus – und die Scheidungsrate ist auch sehr hoch.
GOTT: Wohin ist nur all die Liebe entschwunden, Gabriel? Die Erde war ein Geschenk der Liebe, wo ist die Liebe hin?
GABRIEL: Sie sehen das Licht nicht mehr. Sie haben kein Vertrauen. Sie leben wie in einer dunklen Höhle. Die Sonne ist vergangen. Die Erde leidet.
GOTT: Wird sie sterben?
GABRIEL: Schwer zu sagen, himmlischer Vater.
GOTT: Was ist deine Meinung, Gabriel?
GABRIEL: Meine Meinung … Also, ich würde sagen – es ist höchste Eisenbahn.
GOTT: Also gut. Wir werden sie heilen. Wir wollen mit der Rettung beginnen. Wir werden ihre Flüsse und Meere heilen, ihre Berge und Wälder, wir werden das weiße Rhinozeros retten –
GABRIEL: – den fliegenden Fisch –
GOTT: – den Wiedehopf –
GABRIEL: – und den sehr, sehr seltenen sibirischen Tiger.
GOTT: Wir werden die Seelen der Menschen retten, wir werden ihre Herzen heilen, wir werden ihre Schmerzen heilen.
GABRIEL: Und alle ihre kaputten Freundschaften.
GOTT: Wir werden sie heilen. Und es wird Licht sein!
BEIDE: Wir werden empfangen – und gebären. Wir werden eintreten in die Finsternis, in die dunkelste Höhle und werden die Sonne gebären: den Sohn. Und es wird Licht sein.
Patrick Barlow
Impressum
HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2024/2025
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Peter GHilton Fliegel
QUELLEN
Barlow, Patrick: Der Messias. Deutsch von Volker Ludwig und Ulrike Hoffmann. Hamburg: Rowohlt Theater Verlag.
Deutsche Bibelgesellschaft: Die Bibel oder die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart, 1970, 1982.
Die Texte «Der Autor», «Stand-up-Comedy» und das Interview mit Daniela Urban «TIming und Energie» von Peter Hilton Fliegel sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.
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