Programm
Dirigent: Marc Niemann
Bariton: Dietrich Henschel
Philharmonisches Orchester Bremerhaven
RICHARD WAGNER (1813-1883)
Vorspiel zu Tristan und Isolde WWV 90
RUDI STEPHAN (1887-1915)
«Liebeszauber» für Bariton und Orchester
RICHARD WAGNER
«Liebestod» aus Tristan und Isolde WWV 90
ANTON BRUCKNER (1824-1896)
Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107
Allegro moderato
Adagio. Sehr feierlich und sehr langsam
Scherzo. Sehr schnell – Trio. Etwas langsamer
Finale. Bewegt, doch nicht schnell
Dauer: ca. 2 Stunden, 15 Minuten // eine Pause nach ca. 35 Minuten
RICHARD WAGNER
Vorspiel und Liebestod aus «Tristan und Isolde» WWV 90
Dauer: jeweils ca. 10 Minuten
Entstehung: 1857-1859
1865 lässt Richard Wagner Tristan und Isolde in München uraufführen. Doch nur dank der Hilfe von Bayerns König Ludwig II. Denn so eine Oper hat bisher noch keiner gesehen. Vier Häuser sagten die Uraufführung ab. Zu schwierig, hieß es aus Paris. Der Tenor habe seine Stimme verloren, hieß es aus Wien. Ob sich Wagner dessen vorher im Klaren war? 1854 schreibt er noch unbefangen: «Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen: Ich habe im Kopf einen Tristan und Isolde entworfen.» Privat und beruflich verbirgt sich einiges hinter diesen Worten. 1857 zieht er in das Haus neben der Villa seiner Freunde Otto und Mathilde Wesendonck. Doch zwischen Mathilde und Wagner funkt es. Sie treffen sich, schreiben Briefe, dichten und komponieren Werke füreinander. So entsteht unter anderem der 1. Akt des Tristan. Bis Wagners Frau Minna die beiden erwischt. Wagner muss ausziehen und landet im August 1858 in Venedig. Dort beendet er den 2. Akt. Bereits ein Jahr später folgt der 3.
Sein Kontakt und seine Gefühle zu Mathilde sind in dieser Zeit nie abgeklungen. Was man dem Tristan auch anhört. Dessen neuartige Harmonik beschwört einen nie erlebten nuancierten, kraftvollen Ausdruck und stößt das Tor zu Debussy und Schönberg weit auf. Schon das Vorspiel beschreibe laut Wagner den Gang der Gefühle «von der schüchternsten Klage des unstillbaren Verlangens, vom zartesten Erbeben bis zum furchtbarsten Ausbruch des Bekenntnisses hoffnungsloser Liebe». Mit ersterem meint Wagner wohl den berühmten «Tristan-Akkord». Celli heben unisono in hoher Lage an, suchen nach einem Ziel ... und scheinen in zwei Akkorden auch eines zu finden. Doch statt Klarheit herrscht nun Verwirrung:
War das eine Auflösung? Irgendwas bleibt unerfüllt. Wie Sehnsucht. Sie entfaltet sich nun über vier Stunden in allen Nuancen, die die Seele zu bieten hat. Denn den Liebenden ist klar: In dieser Welt werden sie nicht mehr zusammenkommen. Erst mit Isoldes Liebestod. Dort steigert sich Liebe zur Verklärung. Zum einzigen Mittel, das den Tod überwindet.
RUDI STEPHAN
«Liebeszauber» für Bariton und Orchester
Dauer: ca. 15 Minuten
Entstehung: 1911-1914
Rudi Stephan gilt um 1910 als große Hoffnung der deutschen Musik. Doch dann kommt der Erste Weltkrieg. Stephans Problem: Er ist noch nicht so erfolgreich wie Richard Strauss oder Paul Hindemith. Ersterer muss gar nicht zum Wehrdienst, letzterer als Militärmusiker nicht kämpfen. Anders Stephan. Am 2. März 1915 wird er einberufen, zunächst in seine Heimatstadt Worms. Doch zum 18. September 1915 muss er mit 900 Kameraden ins galizische Stryj in der heutigen Oblast Lwiw der Ukraine. Truppen des deutschen und russischen Kaiserreichs beschießen sich dort in Schützengräben. Auch der 28-jährige Stephan wird davon nicht verschont. Für den sensiblen, sonst im stillen Atelier arbeitenden Komponisten die Hölle. Der Historiker Karl Holls berichtet über die Nacht auf den 29. September: «Offenbar hatten die verwundeten Russen im Schmerzdelirium unablässig geschrien, nur wenige Meter von den deutschen Stellungen entfernt. Aus Verzweiflung und vor Erschöpfung geriet Stephan so außer sich, dass er am Morgen plötzlich, ehe seine Kameraden es noch verhindern konnten, mit den Worten, ‹ich halt’s nicht mehr aus!› im Schützengraben aufsprang und sich weit über die Brustwehr erhob. Er war ein allzu leichtes Ziel.» Seine Kameraden begraben ihn abends hinter der Front.
Die deutsche Musikszene verliert damit eine seiner größten Hoffnungen. 1908 beendet er sein Studium. 1911 lässt er in einem Münchner Konzert drei Werke uraufführen, darunter auch die Orchesterballade Liebeszauber nach einem Gedicht von Friedrich Hebbel. 1914 überarbeitet er das Werk noch einmal für Bariton. Es ist ein typisches Stephan-Werk: Zwischen Wagner, Debussy und Schönberg stehend, fängt Stephan mit seiner chromatischen Harmonik das Warten, Zweifeln und Vereinen der beiden Liebenden ein. Mit Klangflächen malt er die Naturbilder der Lyrik atmosphärisch aus. Kleinere Anspielungen an Wagners Tristan und Isolde kann er sich nicht verkneifen: Gleich zu Beginn etwa zitieren das Englischhorn und sphärische Streicher Tristans Sehnsucht nach Genesung und nach Isolde. Doch bei Stephan finden die Liebenden zusammen. Und zwar lebend.
Torben Selk
ANTON BRUCKNER
Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107
Dauer: ca. 65 Minuten
Entstehung: 1881-1883
Wer ist dieser Mann, der mit sechzig Jahren plötzlich berühmt wird? Der an Gott glaubt, an Wagner – und an sich selbst erst zuletzt? Anton Bruckner lebt lange im Schatten. Ein spätberufener Sinfoniker mit Bauernbart, frommem Herzen und dem schweren Zungenschlag seiner oberösterreichischen Heimat. In Wien wird er milde belächelt, verlacht oder verkannt. Doch dann schreibt er seine Siebte – und alles kippt. Es ist Arthur Nikisch, der das Genie erkennt – und die Uraufführung in Leipzig auf den Weg bringt. Als das Werk am 30. Dezember 1884 erklingt, jubelt das Publikum. Es ist der Abend, der Bruckners Leben verändert.
Und es ist Musik, die ein neues Kapitel aufschlägt. Die im ersten Satz mit einem funkelnden Lichtstrahl daherkommt und die Luft jenes Auf bruchs atmet, die Bruckners Leben gerade durchzieht. Fast überirdisch steigt über silbernen Steichertremoli eine lange, leuchtende Melodie aus den Celli empor. Eine Melodie, die aus dem Nichts zu kommen scheint. Und vielleicht ist das gar nicht so weit hergeholt: Bruckner behauptet, sie sei ihm im Traum erschienen. In der Vision spielt ein Freund auf der Viola und sagt: «Pass auf – mit dem wirst du dein Glück machen!» Er hat recht behalten. Drei große Themen tragen diesen Satz: ein aufsteigender Gesang, eine lyrisch strömende Holzbläseridee und ein markantes rhythmisches Motiv.
Bruckner lässt sie sich begegnen, verweben, durchleuchten. In der Coda kehrt das Anfangsthema zurück – und erstmals ertönt die Pauke. 52 Takte lang hält sie ein bebendes Tremolo, während das Orchester das Thema noch einmal strahlen lässt. Der zweite Satz entsteht im Winter 1883. Bruckner arbeitet gerade an dessen Höhepunkt, als ihn die Nachricht vom Tod Richard Wagners erreicht. Bruckner verehrt Wagner wie einen Heiligen. Er schreibt unter Tränen weiter und fügt eine Trauermusik an, in der vier sogenannte «Wagnertuben» erklingen – eine dunkle, schwebende Bläserfarbe zwischen Horn und Posaune, die Wagner für den Ring des Nibelungen erfindet. Zwei Glaubenswelten werden vereint: das katholische Bekenntnis des Organisten Bruckner von St. Florian – und den mystischen Klangraum des «Meisters von Bayreuth». Die Melodien greifen nach oben, als trügen sie eine stille Hoffnung auf Erlösung.
Das Scherzo ist ein Brocken. Keine leichte Tanznummer, sondern ein stampfender Aufmarsch. Die Trompeten sind präsent, die Rhythmen sind scharf, die Energie ist ungebremst. Im Trio wechselt der Ton – plötzlich ist da ein stiller Moment, fast wie ein Rückzug ins Innere. Bruckner liebt diese Kontraste. Sie geben seiner Musik Tiefe und Atem. Und dann das Finale. Es beginnt ohne Umschweife – scheinbar neu, doch innerlich verwandt. Was wie ein neues Thema klingt, ist die Verwandlung des Anfangs – gespiegelt, verdichtet, verwandelt. Am Ende erscheint die Anfangsmelodie noch einmal, jetzt in triumphierendem Glanz. Ein Kreis schließt sich. Und Bruckner hat es geschafft: Die Welt hört endlich zu.
Als Bruckner die Sinfonie dem bayerischen König Ludwig II. widmet – jenem Wagner-Verehrer mit Hang zur Märchenwelt –, ist das kein Kalkül, sondern ein Zeichen: Diese Musik gehört nicht nur den Kennern, sondern allen, die an Trost glauben. An Licht. An das Glück, das aus einem Traum entsteht.
Markus Tatzig
MARC NIEMANN
Dirigent
Marc Niemann ist seit 2014 Generalmusikdirektor des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven. Seitdem hat er das Angebot systematisch ausgebaut und durch innovative Konzertformate neue Publikumsschichten erschlossen, was 2017 zur Aufnahme des Bremerhavener Klangkörpers in das Förderprogramm Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland der Bundesregierung führte. 2018 wurde Niemann von der Zeitschrift Opernwelt als Dirigent des Jahres nominiert. Seine Diskografie umfasst, neben der von der Presse hochgelobten zyklischen Einspielung aller Beethoven-Sinfonien, zeitgenössische Werke und die Einspielung der 3. und 6. Sinfonie Emilie Mayers, die 2022 für den internationalen Kritikerpreis ICMA-Award nominiert war. Jüngst wurde Niemann für den OPUS Klassik als Dirigent des Jahres und die Mayer-CD als Sinfonische Einspielung des Jahres nominiert. Er steht als Gastdirigent am Pult zahlreicher Orchester und Festivals im In- und Ausland, war 2022 direttore musicale des Cantiere Internazionale d’Arte di Montepulciano und engagiert sich auch kulturpolitisch als Vorsitzender des Landesmusikrates Bremen. Seit diesem Jahr ist Marc Niemann Intendant und Geschäftsführer des Sendesaals Bremen.
DIETRICH HENSCHEL
Gesang
Der Bariton Dietrich Henschel begeistert das Publikum als regelmäßiger Gast an den führenden Opern- und Konzerthäusern der Welt, als geschätzter Interpret von Opern, Liedern und Oratorien sowie mit vielfältigen multimedialen Projekten. Sein Repertoire reicht von Monteverdi bis zur Avantgarde. Der Durchbruch seiner internationalen Karriere gelang ihm mit einer herausragenden Hauptrolle in Busonis Doktor Faust unter der Leitung von Kent Nagano an der Opéra National de Lyon und am Théâtre du Châtelet in Paris. Die Einspielung wurde 2001 mit dem Grammy Award für die beste Opernaufnahme ausgezeichnet. Zu seinen wichtigsten Partien gehören Faninal in Der Rosenkavalier, Don Giovanni, Alban Bergs Wozzeck, Ulisse in Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria, Golaud in Debussys Pelléas et Mélisande, Nick Shadow in Strawinskys The Rake’s Progress. Zu den jüngsten Höhepunkten zählen Schönbergs Gurre-Lieder mit dem Los Angeles Philharmonic unter der Leitung von Zubin Mehta, Schönbergs Moses und Aron in Bonn, Hanns Eislers Deutsche Sinfonie und Winterreise in Tokio, Haydns Die Schöpfung mit dem Brussels Philharmonic und Kazushi Ōno.
Impressum
HERAUSGEBER Philharmonisches Orchester Bremerhaven
SPIELZEIT 2025/2026, Nr. 1
GENERALMUSIKDIREKTOR Marc Niemann
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Markus Tatzig, Torben Selk
QUELLEN
Auer, Max: Anton Bruckner – Mystiker und Musikant. München 1982.
Aufenanger, Jörg: Richard Wagner und Mathilde Wesendonck. Düsseldorf 2007.
Brand, Juliane: Rudi Stephan. Tutzing 1983.
AUFFÜHRUNGSRECHTE
Vorspiel zu «Tristan und Isolde» WWV 90: Reprintausgabe: Die Klassiker, Wien
«Liebeszauber» für Bariton und Orchester: Schott-Verlag, Mainz
«Liebestod» aus «Tristan und Isolde» WWV 90: Reprintausgabe: Die Klassiker, Wien
Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107: Alkor – Agentur für Bühne und Orchester, Kassel