Das Philharmonische Orchester im Großen Haus des Stadttheater

3. Sinfoniekonzert «Enigma!»

BENJAMIN BRITTEN Peter Grimes: Four Sea Interludes op. 33 a
DETLEV GLANERT Konzert für Schlagzeug und Orchester
EDWARD ELGAR Variations on an Original Theme for Orchestra, op. 36 «Enigma Variationen»

TERMINE 24. / 25. November 2025 // Großes Haus
26. November 2025 // Stadeum, Stade

Einführung jeweils 30 Minuten vor Konzertbeginn im Großen Haus sowie 45 Minuten vor Konzertbeginn in Stade.

Vorstellungstermine

24.11.2025 um 20:00 Uhr Karten
25.11.2025 um 19:30 Uhr Karten

Beziehungen machen unser Leben aus, bestimmen unser Lebensglück, bleiben aber auch immer ein Stück weit rätselhaft. Vielleicht waren das Gedanken, denen Edward Elgar nachhing, als er das Thema seiner später so genannten Enigma-Variationen am Klavier improvisierte. Seine Frau musste ihn erst überzeugen, dass dieses Fundstück mehr war, als eine flüchtige Eingebung. In seiner bis heute erfolgreichsten Komposition zeichnete er verschlüsselte Portraits enger Freund:innen und Weggefährt:innen. Solche Menschen fehlen Peter Grimes in der gleichnamigen Erfolgsoper von Benjamin Britten. Die daraus entnommenen Four Sea Interludes beleuchten die sich entwickelnden Spannungen und Konflikte mit einer ungeheuer suggestiven, tonmalerisch-ergreifenden Musik wie unter dem Brennglas. Zwischen diesen beiden Marksteinen der britischen Symphonik haben wir Christoph Sietzen eingeladen, das neue Konzert für Schlagzeug und Orchester von Detlev Glanert mit unserem Orchester aufzuführen, eine atmosphärisch dichte Musik, die vor einem zupackenden jazzigen Groove nicht zurückschreckt.

3. Sinfoniekonzert

«Enigma!»

Programm

Dirigent: Christopher Ward
Marimba: Christoph Sietzen
Philharmonisches Orchester Bremerhaven

BENJAMIN BRITTEN (1913–1976)

Peter Grimes: Four Sea Interludes op. 33
 
    Dawn
     Sunday Morning
     Moonlight
     Storm

DETLEV GLANERT (* 1960)

Konzert für Schlagzeug und Orchester
     Anna. Allegro
     Theresa. Adagio
     Felicitas. Allegro

EDWARD ELGAR (1857–1934)

Variationen über ein eigenes Thema op. 36 «Enigma-Variationen»
     Var. 1. – CAE L’istesso tempo
     Var. 2. – HDS-P Allegro
     Var. 3. – RBT Allegretto
     Var. 4. – WMB Allegro di molto
     Var. 5. – RPA Moderato
     Var. 6. – Ysobel Andantino
     Var. 7. – Troyte Presto
     Var. 8. – WN Allegretto
     Var. 9. – Nimrod Adagio
     Var. 10. – Dorabella Intermezzo. Allegretto
     Var. 11. – GRS Allegro di molto
     Var. 12. – BGN Andante
     Var. 13. – *** Romanza. Moderato
     Var. 14. – EDU Finale. Allegro

Dauer: ca. 2 Stunden, 30 Minuten // eine Pause nach ca. 45 Minuten

BENJAMIN BRITTEN

Peter Grimes: Four Sea Interludes op. 33 a

Dauer: ca. 16 Minuten
Entstehung: 1944/1945

Benjamin Britten hätte sich in Bremerhaven wohlgefühlt. 1913 im Küs-tenort Lowestoft in Suffolk geboren, ist er mit Seeluft aufgewachsen. Der Rhythmus der Wellen, die plötzlichen Wetterumschwünge, das gleißende Licht, das sich auf der Wasseroberfläche bricht – Alltag für ihn. Als Britten 1941 im kalifornischen Exil George Crabbes Gedichtband The Borough liest, ist es die Weite der See, die er am stärksten vermisst. Denn Crabbe beschreibt das Leben eines Fischerdorfs mit engen Regeln und harten Bedingungen. Britten fasst zwei wichtige Entscheidungen: Er kehrt zurück an die englische Küste, und er beginnt mit der Arbeit für eine neue Oper: Peter Grimes.

Der Fischer Peter Grimes, in Crabbes Vorlage noch ein bösartiger Menschenfeind, verwandelt sich bei Britten in eine tragische Figur. Kein Dämon, kein Sadist, sondern ein Einzelgänger, der an der Enge und den Vorurteilen seines Dorfes zerbricht. Die Gesellschaft stellt sich gegen ihn, bis er schließlich im Meer versinkt. Doch der eigentliche Protagonist ist das Meer selbst – allgegenwärtig, lebensspendend und zerstörerisch zugleich. Um dieses Meer hörbar zu machen, komponiert Britten sechs Zwischenspiele als Szenenwechsel. Sie zeichnen die See in wechselnden Zuständen und spiegeln Grimes’ innere Welt. Vier davon fasst Britten zur Suite der Four Sea Interludes zusammen.

Das erste Interlude, Dawn, zeigt die Stille des Morgengrauens. Hohe Streicher und Flöten malen ein silbriges Leuchten über der Wasseroberfläche, dazwischen blinken Harfenarpeggien. Wiederholt grollen dunkle Blechakkorde, als Erinnerung an die Bedrohung, die in dieser Weite lauert. Schönheit und Gefahr zugleich. Sunday Morning eröffnet den Dorftag. Hörner schlagen schwere Glocken, Trompeten und Holzbläser flattern wie Vogelrufe, die Gemeinde erwacht. Doch bald kippen die hellen Klänge: Gedämpfte Trompeten und aufblitzende Dissonanzen lassen ahnen, dass es kein friedlicher Sonntag bleiben wird. 

Moonlight ist ein Nachtstück voller Spannung. Über liegenden Akkorden schimmern Harfen- und Flötenfiguren wie Mondlicht auf einer dunklen Wasseroberfläche. Die Musik bleibt fast unbewegt und wirkt doch unruhig. Wie die Ruhe vor dem Sturm. Denn dieser kommt. Und wie. Rasende Streicher, peitschendes Schlagwerk, Wellenkämme aus Blech und Pauken – das Meer tobt in Storm. Nur kurz blitzen Inseln der Hoffnung auf, wie Grimes’ Sehnsucht nach Frieden. Am Ende siegt das Chaos: Das Meer behält das letzte Wort.

Mit den Four Sea Interludes hat Britten Musik geschaffen, die keine Bühne braucht. Sie ist Seestück und Seelendrama zugleich. Für uns in Bremerhaven klingt das vertraut – das Wasser ist nicht nur Kulisse, sondern tägliche Wirklichkeit.

Markus Tatzig

DETLEV GLANERT

Konzert für Schlagzeug und Orchester

Dauer: ca. 30 Minuten
Entstehung: 2023

Hamburger seien kühl, heißt es gerne. Über Detlev Glanerts Musik kann man das nicht sagen: Ganz im Sinne der Romantik komponiert er erzählend und ausdrucksstark, aber ohne moderne Fortschritte zu ignorieren. Er schreibt fürs Publikum: «Die Musik muss den Hörer:innen etwas über ihr Leben und über sie selbst erzählen. Oper und Orchestermusik müssen diesem Prinzip folgen. Wenn nicht, werden sie sterben.» Damit sieht er sich in einer Linie mit Max Reger, Gustav Mahler, Maurice Ravel und Hans Werner Henze. Mahler und Ravel haben ihn besonders beeinflusst: «Für mich stehen sie für zwei Extreme: Mahler für den einfachen, dramatischen Sinn für Musik, Ravel für die künstliche Maske vom Klang.» Sein Werk hat tonale Anklänge, ist lyrisch und ausdrucksstark. Auch dank seines Lehrers Henze, einem der einflussreichsten Traditionalisten des späten 20. Jahrhunderts: «Ich glaubte drei Jahre, meine Persönlichkeit verloren zu haben. In dieser Zeit hat er meinen Stil fundamental beeinflusst. Ich habe drei Jahre nur wie er geschrieben.»

Glanerts Konzert für Schlagzeug und Orchester wurde am 24. Mai 2024 im norwegischen Bodø uraufgeführt und steht exemplarisch für seinen Stil: ausdrucksstark und immer erzählend. Im ersten Satz überwiegen Bewegtheit und Nervosität. Der zweite will in Meditation einkehren. Er stemmt sich einem Ausbruch entgegen, kann ihn aber nicht verhindern. Der dritte Satz versucht, dem Erlebten zum Trotz energisch vorwärts zu schreiten. Aber er fällt immer wieder ins Nervöse, Schmerzliche zurück. So endet der Satz auch nicht mit einer romantischen Apotheose, sondern mit einer mystischen Stille, einem Fragezeichen nach dem, was noch kommen mag. Eine interessante Randnotiz dabei: Die drei Satztitel tragen jeweils einen Frauennamen. Das Allegro Anna, das Adagio Theresa und das finale Allegro Felicitas. In der Romantik hatten Namenszuordnungen oft private Hintergründe. Besonders bei Ludwig van Beethoven. Und wie ist es heute? Der Komponist hält sich bedeckt. Doch seine Musik lädt zum Fantasieren ein ...

Torben Selk

EDWARD ELGAR

Variationen über ein eigenes Thema op. 36 «Enigma-Variationen»

Dauer: ca. 32 Minuten
Entstehung: 1898/1899

Spätherbst 1898. Ein Wohnzimmer in Worcestershire, der Kamin glimmt, Edward Elgar improvisiert am Klavier. «Was war das eben?», fragt Elgars Frau Alice. «Nichts», antwortet Elgar, «aber daraus ließe sich etwas machen.» Und wie! Innerhalb weniger Wochen entsteht ein Werk, das England in den Fokus der Konzertwelt rückt: die Enigma-Variationen. Am 19. Juni 1899 dirigiert Hans Richter die Uraufführung in der Londoner St James’s Hall. Und das Publikum staunt, dass ein britischer Komponist mit den sinfonischen Schwergewichten Europas auf Augenhöhe spricht. 

Enigma ist das griechische Wort für Rätsel. Und davon liefert Elgar gleich mehrere: vierzehn Charakterbilder «to my friends pictured within». Die Überschriften meinen Initialen oder Spitznamen. 

Hinter CAE verbirgt sich ein Gruß an Elgars Frau Caroline Alice. Ein Gegenmotiv von Oboen und Fagotten ahmt das Pfeifsignal nach, mit dem Edward täglich heimkehrt. HDS-P mimt den Hobbypianisten Hew David Steuart-Powell, dessen diatonische «Vorlauf-Tonleitern» Elgar in Toccata-Figuren verwandelt. RBT gilt Richard Baxter Townshend, einem exzentrischen Schauspieler (die Oboe «knackt» wie seine Stimme), der gern Dreirad fährt. Der Landedelmann William Meath Baker (WMB) liest Anordnungen laut vor und schließt Türen «mit einem Knall». RPA meint Richard Penrose Arnold, Sohn des Dichters Matthew Arnold. Ysobel (Isabel Fitton) bekommt eine Bratschen-Etüde über das Saitenwechseln, Troyte (Arthur Troyte Griffith) ein rumpelndes Presto, in dem Elgar pianistische Unordnung bändigt und sie doch laufen lässt. Elgar hört hin, lächelt – und verwandelt Macken in Musik. So auch in WN für Winifred Norbury, die einen Hauch Landhaus-Eleganz atmet.

Das Herz des Zyklus’ ist Nr. 9: Nimrod – Elgars Porträt seines engsten Freundes August Jaeger (deutsch: Jäger, Nimrod ist der biblische Jäger). Elgar erinnert sich an einen Sommerabend, an dem Jaeger über die Größe von Beethovens langsamen Sätzen sprach. Dieses Adagio ist in Großbritannien zum Klang der Erinnerung geworden. Wer Nimrod hört, spürt Freundschaft, Trost und stille Ermutigung. Dorabella spielt an auf Elgars Freundin Dora Penny, GRS auf den Organisten Dr. George Robertson Sinclair und dessen Bulldogge Dan, die in den River Wye purzelt, ans Ufer paddelt und «mit freudigem Bellen» landet. BGN porträtiert den Cellisten Basil Nevinson, die ***-Variation eine Dame «auf Seereise» – womöglich deshalb ohne konkreten Namen. Über wellenden Streichern zitiert die Klarinette Mendelssohn Bartholdys Meeresstille und glückliche Fahrt. Und am Ende steht EDU – Elgars Selbstporträt. «Edoo» ist Alices Kosename. Hier zeigt sich Elgar nicht mehr als unterschätzter Provinzmusiker, sondern souverän, fanfarenhaft, mit Rückblicken auf CAE und Nimrod – als würde er sagen: ohne sie kein Ich.

Was bleibt? Ein Rätsel! Denn Elgar spricht von einem noch «größeren Thema, das nicht gespielt wird» – und bis heute ist unklar, welches. Vielleicht liegt gerade darin die Schönheit: Ein Geheimnis, das offenbleibt wie ein Wasserzeichen.

Markus Tatzig

Christopher Ward

Dirigent

Christopher Ward war 2005 Solorepetitor und Kapellmeister am Staatstheater Kassel und assistierte Sir Simon Rattle u. a. beim Festival d’Aix-en-Provence 2006. 2009 wechselte er als Kapellmeister und musikalischer Assistent von Kent Nagano an die Bayerische Staatsoper. 2014 übernahm er die Position des 1. Kapellmeisters am Saarländischen Staatstheater. Als Gastdirigent trat er an der Hamburgischen Staatsoper, der Deutschen Oper am Rhein, der Komischen Oper Berlin, der Oper Graz und der Prager Státní opera auf. Seine Aufnahmen mit Naxos und Capriccio fanden internationale Anerkennung und wurden mehrfach für den OPUS KLASSIK nominiert. Dabei kooperierte er u. a. mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin oder dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Zu den bemerkenswerten Veröffentlichungen 2022 gehören die Welteinspielungen von Leo Blechs längst vergessener Musik. Seit 2018 ist Christopher Ward Generalmusikdirektor am Theater und Sinfonieorchester Aachen, wo er neben zeitgenössischer Musik auch Barockmusik erfolgreich etablieren konnte. Er tritt regelmäßig mit dem Sinfonieorchester Aachen in der Kölner Philharmonie und im Amsterdamer Concertgebouw auf.

Christoph Sietzen

Marimba

Christoph Sietzen war in der Saison 2024/2025 Porträtkünstler der Kölner Philharmonie. Er spielte mit dem hr-Sinfonieorchester, der Kammerakademie Potsdam sowie Johannes Maria Stauds Konzert Whereas the Reality Trembles mit dem WDR Sinfonieorchester, das er auch mit dem SWR Symphonieorchester und dem Bruckner Orchester Linz aufführte. Zuvor spielte er 2023/2024 bereits die Weltpremiere mit dem Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst und die österreichische Premiere mit den Wiener Symphonikern. In der Spielzeit 2025/2026 kehrt Sietzen mit Stauds Konzert zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zurück. Ebenso zum Mozarteumorchester Salzburg, um die Weltpremiere von Christian Josts neuem Schlagzeugkonzert Blade zu spielen sowie zum Philharmonischen Orchester Bremerhaven mit Detlev Glanerts Schlagzeugkonzert. Er ist Gründer des Percussion-Ensembles MOTUS Percussion und Mitglied des Marimba-Ensembles The Wave Quartet. Zu den kommenden Höhepunkten des Quartetts gehören u. a. Auftritte beim Salzkammergut Festival Gmunden und in der Kölner Philharmonie. Zudem wird er in dieser Saison das künstlerische Team des Festivals Klangwolke Linz leiten.

Impressum

HERAUSGEBER Philharmonisches Orchester Bremerhaven
SPIELZEIT 2025/2026, Nr. 10
GENERALMUSIKDIREKTOR Marc Niemann
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Markus Tatzig, Torben Selk
SATZ Nathalie Langmaack 

QUELLEN
Adams, Byron: Edward Elgar and his World. Princeton 2007.
Evans, Peter: The Music of Benjamin Britten. Oxford 1996.
Rickards, Guy: More than mere masquerades of sounds. The music of Detlev Glanert. In: Tempo (205). 1998.

AUFFÜHRUNGSRECHTE
Peter Grimes: Four Sea Interludes op. 33 a: Boosey & Hawkes, London / Berlin
Konzert für Schlagzeug und Orchester: Boosey & Hawkes, London / Berlin
Variationen über ein eigenes Thema op. 36 «Enigma-Variationen»: Bärenreiter-Verlag, Kassel

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