PROGRAMM
Dirigent: Srba Dinić
Klavier: Matthias Kirschnereit
Philharmonisches Orchester Bremerhaven
GIORGIO BATTISTELLI (* 1953)
Après Josquin (Deutsche Erstaufführung)
WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756-1791)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 23 A-Dur KV 488
Allegro
Adagio
Allegro assai
MAX REGER (1873-1916)
Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart op. 132
Thema: Andante grazioso
Variation Nr. 1: L’istesso tempo, quasi un poco più lento
Variation Nr. 2: Poco agitato
Variation Nr. 3: Con moto
Variation Nr. 4: Vivace
Variation Nr. 5: Quasi presto
Variation Nr. 6: Sostenuto (quasi adagietto)
Variation Nr. 7: Andante grazioso
Variation Nr. 8: Molto sostenuto
Fuge: Allegretto grazioso
Dauer:
ca. 1 Stunde, 30 Minuten // eine Pause nach ca. 40 Minuten
GIORGIO BATTISTELLI
Après Josquin (Deutsche Erstaufführung)
Dauer: ca. 12 Minuten
Entstehung: 2006
Ist Giorgio Battistelli ein Erbe Mozarts? Das mag jede:r für sich beurteilen. Fakt ist: Qualität und Quantität in seinem kompositorischen Schaffen sind enorm. Neben 30 Opern und 25 Orchesterwerken stehen diverse Werke der Chor- und Kammermusik. Sein Schaffensdrang wirft derartige Rätsel auf, dass in der Theaterwelt bereits das Gerücht umhergeht, Battistelli existiere gar nicht. Das wäre jammerschade, denn seine Musik spiegelt die Vielfalt unserer Zeit wider, wie wenige andere. Grundlage seines Komponierens ist die Tradition: «Die tiefe Verbindung mit unserem kulturellen Erbe von Monteverdi bis Mozart, Rossini, Wagner, Strauss und Berg erlaubt uns, neue mögliche Formen des Hörens und Sehens auszuprobieren.» Manchmal forscht Battistelli sogar noch tiefer in der Musikgeschichte. Après Josquin spielt schon im Titel auf den Renaissance-Komponisten Josquin Desprez an. Zu dessen Zeit erfüllte die Musik v. a. kirchliche Funktionen. Man komponierte in erster Linie für Choräle, in Kirchentonarten und mehrstimmig. Akkorde im heutigen Sinn gab es noch nicht. Entsprechend geistlich und meditativ wirkt die Musik auf uns. Josquin entwickelte aber neue Techniken und einen Ausdruck, der schon auf die Barockmusik weist. So prägte er die Imitation, die Motive durch verschiedene Stimmgruppen reicht, leicht bearbeitet und Zustände der Zeitlosigkeit erzeugt. Battistelli greift diese Technik in Après Josquin auf. Nur reicht er die Motive durch Instrumental- und nicht mehr durch Stimmgruppen des Chors. So kann er dank der Farbenvielfalt des heutigen Orchesters über verschiedene Zustände der Stille meditieren. Doch scheint der Glaube nicht mehr im selben Ausmaß wie früher möglich zu sein. Brutale fortefortissimo-Gesten im Stil verstörender Schostakowitsch-Grimassen unterbrechen die Meditation. Glaube und Alltag: Passt das noch zusammen? Battistelli sagt: Ja. Aber nicht uneingeschränkt. Alles Weitere muss jede:r für sich entscheiden.
Torben Selk
WOLFGANG AMADEUS MOZART
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 23 A-Dur KV 488
Dauer: ca. 26 Minuten
Entstehung: 1786
Das Frühjahr 1786 ist arbeitsreich für Mozart. Seit Januar schreibt er am Schauspieldirektor, für den 1. Mai ist die Premiere von Le nozze di Figaro geplant, und wie nebenbei komponiert er dazu Klavierkonzerte. Am 2. März notiert er in sein «Verzeichnis», das A-Dur-Konzert KV 488 sei vollendet. Nur drei Wochen später findet das c-Moll-Konzert Erwähnung. Konzerte, die für die Produktivität Mozarts ebenso sinnbildlich sind wie für ihre unterschiedlichen Stilistiken: hier das heitere, unbeschwerte A-Dur-Konzert, dort das dramatische, düstere c-Moll-Konzert, das sich neben Trompeten und Pauken auch Oboen und Klarinetten leistet. Im A-Dur-Konzert sieht die Partitur neben dem Solo-Klavier nur Streicher sowie eine Flöte, Klarinetten-, Fagott- und Hörnerpaare vor. Es atmet durchweg kammermusikalische Luft und ist durch das Adagio auch eines der ergreifendsten Klavierkonzerte Mozarts. Weich und zugleich dunkel im Klang, lyrisch und doch sanft mondbeschieden – ein bisschen wie die Gartenszene im Figaro.
Die Melodie des Hauptthemas im ersten Satz zeigt, wie Mozart Vollkommenes, Natürliches und Kunstvolles nahtlos ineinander übergehen, streckenweise verschmelzen lässt. Es ist eine liedhafte Melodie, die wie selbstverständlich zwischen Orchester und Klavier kommuniziert und mit harmonischen Überraschungen angereichert ist. Der zweite Satz nimmt in Mozarts Schaffen eine besondere Position ein. Es ist das einzige Stück, das er in fis-Moll geschrieben hat. Fis – nach Christian Schubarts Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst ein «finsterer» Ton. Und das direkt nach A-Dur. Dieser langsame Satz lebt von einer dunklen Innigkeit, ist zart und melancholisch zugleich. Im finalen Rondo kommen Mozarts sprunghafter Witz und sein Humor zur Geltung. Kein Schimmer mehr von der lyrischen Zurückhaltung des ersten oder der nachdenklichen Stimmung des zweiten Satzes. Mozart jongliert mit Dur und Moll, gibt seinen Themen Raum, schafft unverwechselbare Farben in der Orchestrierung und einen unwiderstehlichen Schwung im Rhythmus. Er leitet die Instrumentengruppen durch eine lebensbejahende Apotheose – ein bisschen wie im Finale des Figaro.
MAX REGER
Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart op. 132
Dauer: ca. 30 Minuten
Entstehung: 1914
Max Reger lebt unmäßig. Dutzende Weißwürste soll er frühstücken, bis zu 20 Zigarren am Tag rauchen, «badewannenweise» Kaffee und viel Alkohol trinken. Er ist überarbeitet und verachtet sich. Seine Musik, sagen Kollegen, mache nur matter, aber nicht reger. Dabei startet er 1913 voller Elan in seine zweite Saison als Chef der Meininger Hofkapelle. In Personalunion will er Hofkapellmeister, Komponist, Arrangeur, Tourneemusiker und Professor sein. Ein Drahtseilakt, der ihn zermürbt. 1914 muss Reger seine Ämter niederlegen. 1916 stirbt er in einem Leipziger Hotel. Diagnostiziert ist Herzversagen. Gemunkelt wird über eine Überdosis Opium-pulver in Kombination mit einer Morphiumspritze.
So maßlos der Mensch – als Komponist sucht Reger das Maß. Auch wenn seine Vorliebe für harmonische und kontrapunktische Komplexität oder überlange Kompositionen anderes vermuten lässt. Traditionsbewusstsein ist ihm wichtig sowie die Orientierung an Vorbildern der Musikgeschichte, wie es ihm seine Lehrer Adalbert Lindner und Hugo Riemann vermittelt haben. Gepaart mit seiner musikalischen Erfindungskraft entwickelt Reger eine Art des Komponierens, die die Retrospektive ins Zentrum rückt. Die Musik Mozarts nimmt hierbei eine besondere Stellung ein. Für ihn ist sie Inbegriff musikalischer Schönheit und Klarheit.
Mit Variationenwerken ist Reger 1914 längst vertraut. Er schreibt solche über eigene, aber auch über Themen von Bach, Beethoven oder Telemann, teils gewürzt mit einer Fuge am Ende, ein Konzept, das in Beethovens Variationen prominente Vorbilder hatte.
Für die Mozart-Variationen wählt Reger das Thema des Kopfsatzes der A-Dur-Sonate KV 331, das auch Mozart variiert hat. Dieses wird zunächst von den Holzbläsern, dann von den Streichern vorgestellt. Die erste Variation bleibt im Andante-Tempo und zeigt sich in primär figurativem Gewand. Mit der zweiten Variation kommt eine Steigerung, während der Rhythmus und der Themenkern beibehalten werden. Mit der Nr. 3 beschleunigt Reger abermals, vereinfacht den Rhythmus und lenkt alles nach Moll. Die vierte Variation ist ein Scherzo im Zweivierteltakt, Nr. 5 ein rasantes Presto. Die sechste Variation atmet breite Luft und vereinfacht den Rhythmus, bevor die siebente auf die Originalgestalt zurückgreift, wobei die Violoncelli und Hörner das Thema übernehmen. In der letzten Variation findet Reger einen assoziativen Themenumgang, der frische Farbnuancen schafft. Neue Gedanken verflechten sich und verbreiten eine magisch-ruhige Stimmung vor der Schlussfuge. In die Ausgangstonart und den Grundrhythmus zurückgekehrt, eröffnen die ersten Geigen, bevor die übrigen Streichergruppen hinzutreten. Die Flöte präsentiert ein weiteres, lyrisches Thema. Das Fugenthema wird exponiert, bis die Trompeten Mozarts Thema im Fortissimo dramatisieren.
Reger zeigt einen meisterhaften Umgang sowohl mit der Variations- als auch der strengen Satzform. Ihm gelingt der Coup, Mozarts Thema klar erscheinen zu lassen und es sich durch Harmonik und Klangfarbe auch zu eigen zu machen. Die Mozart-Variationen zählen zu den Fixsternen des bisweilen unentdeckten oder wenig bis gar nicht gespielten Œuvres Regers. Sie sind opulent, gewaltig und zuteilen maßlos. «Max Reger war der letzte Riese in der Musik. Ich bin ohne ihn gar nicht zu denken.», wird Paul Hindemith anerkennend sagen. Dass er neben den vielen bissigen Wertungen auch hochgeschätzt wurde – Reger hätte es sicher gefreut.
Markus Tatzig
Srba Dinić
Srba Dinić studierte an der Belgrader Musikakademie Klavier und Kammermusik sowie Dirigieren bei Wolfgang Ott. 2001 wurde er als Erster Kapellmeister an die Oper Bern berufen, wo er 2004 zum Chefdirigenten und 2007 zum Musikalischen Direktor aufstieg. Neben zahlreichen Produktionen an der Oper Bern führten ihn diverse Gastengagements an internationale Opernhäuser wie die Staatsoper Stuttgart, das Aalto-Theater Essen, das Nationaltheater Belgrad, das Teatro Massimo in Palermo, das Kroatische Nationaltheater Zagreb, das Teatro Colón in Buenos Aires, die Semperoper Dresden und die Festivals in Savonlinna und Avenches. Er arbeitete mit Orchestern wie u. a. den Münchner, Freiburger und Nürnberger Symphonikern, dem Shanghai Symphony Orchestra, dem Taipei Symphony Orchestra, dem Ungarischen Radio Symphony Orchestra, dem Sinfonieorchester Basel, dem Orquesta de Valencia und dem Palacio de Bellas Artes Orchestra in Mexiko. Von 2013 bis 2019 war Srba Dinić Musikalischer Direktor und Chefdirigent des Orchesters des Teatro de Bellas Artes in Mexico City, seit der Spielzeit 2017/18 ist er Generalmusikdirektor des Staatstheaters Braunschweig.
Matthias Kirschnereit
Seit 40 Jahren ist Matthias Kirschnereit auf internationalen Bühnen präsent. Fast 50 Aufnahmen dokumentieren sein Schaffen, von der Preisträger-CD des Deutschen Musikwettbewerbs 1989 über die Gesamteinspielung der Klavierkonzerte Mozarts, dem 2019 erschienenen Album Concertant mit Werken für Klavier und Orchester von Schumann bis zu einer Einspielung mit Kompositionen u. a. von Hummel und Weber von 2021. Schubert, Mendelssohn Bartholdy, Schumann und Brahms sind die Fixsterne an Kirschnereits Klavierhimmel. Genauso widmet er sich Mozart, Chopin oder Rachmaninow. Auf seinen Gesamteinspielungen findet sich auch Unbekanntes, etwa das rekonstruierte e-Moll-Klavierkonzert von Mendelssohn Bartholdy, für das er 2009 einen ECHO Klassik bekam. Händels Orgelkonzerte hat er in eigenen Arrangements für Klavier aufgenommen. Die zum Beethovenjubiläum 2020 entstandene CD Beethoven unknown stieg in die Top Ten der deutschen Klassik Charts ein. 2021/2022 entstand eine Gesamtaufnahme der selten gespielten Haydn-Klavierkonzerte. Er ist Professor an der hmt Rostock und lockt mit seinen «Gezeitenkonzerten» seit 2012 ein wachsendes Publikum zum «Festival unter Freunden», wie Kirschnereit es nennt.
Impressum
HERAUSGEBER Philharmonisches Orchester Bremerhaven
SPIELZEIT 2024/2025, Nr. 10
GENERALMUSIKDIREKTOR Marc Niemann
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Markus Tatzig, Torben Selk
QUELLEN
Brück, Marion: Die langsamen Sätze in Mozarts Klavierkonzerten. Untersuchungen zur Form und zum musikalischen Satz. München 1994. // Wirth, Helmut: Max Reger in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1973.
Aufführungsrechte Après Josquin: CASA RICORDI – Universal Music Publishing RICORDI S.r. l. // Konzert für Klavier und Orchester Nr. 23 A-Dur KV 488: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden // Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart op. 132: Die Klassiker, Wien, Reprint-Ausgabe