Programm
Dirigent: Marc Niemann
Violine: Joseph Moog
Philharmonisches Orchester Bremerhaven
JOHANNES BRAHMS (1833-1897)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll op. 15
Maestoso
Adagio
Rondo
SERGEI RACHMANINOW (1873-1943)
Sinfonische Tänze op. 45
(Non) Allegro
Andante con moto (Tempo di valse)
Lento assai – Allegro vivace
Dauer: ca. 1 Stunde 50 Minuten Stunden // eine Pause nach ca. 50 Minuten
Die Texte für diesen Flyer wurden von Studierenden der Universität Bremen im Rahmen eines Seminars zum Thema Musikvermittlung verfasst.
JOHANNES BRAHMS
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll op. 15
Dauer: ca. 50 Minuten
Entstehung: 1854-1859
Als Johannes Brahms 1854 mit der Komposition seines Klavierkonzerts Nr. 1 begann, war er erst 21 Jahre alt und dennoch auf dem besten Weg, als «neuer Messias der Musik» gefeiert zu werden. Robert Schumann hatte ihn gerade in einem enthusiastischen Artikel als musikalisches Genie der Zukunft angekündigt. Diese enorme Erwartungslast sollte Brahms sein Leben lang begleiten und sein erstes großes Orchesterwerk mit Spuren dieser inneren und äußeren Spannungen beeinflussen.
Brahms’ Komposition durchlief einen langen und sehr mühevollen Entstehungsprozess. Bis aus der anfänglichen Sonate für zwei Klaviere das Werk in seiner letzten Form als Klavierkonzert fertiggestellt wurde, waren fast fünf Jahre vergangen. Überlegungen, das Material als eine Sinfonie auszuarbeiten, verwarf er wieder, da er sich einer solch großen Aufgabe noch nicht gewachsen sah. Dieser Entwicklungsprozess ist merklich spürbar: Das Konzert wirkt, als würde es eine Geschichte erzählen mit spannenden wie auch traurigen Momenten und vielen weiteren Emotionen, die der Musik Ausdruck verleihen. Es ist anders als die schnellen, schicken Klavierstücke dieser Zeit, die vor allem Wert darauflegten, die Virtuosität des Pianisten in den Vordergrund zu stellen. Von Beginn an war es Brahms wichtig, dass das Klavier kein glänzender Solist über einer Begleitung ist, sondern als gleichwertiger Partner im musikalischen Dialog mit dem Orchester harmoniert.
JOHANNES BRAHMS ÜBER SEIN 1. KLAVIERKONZERT. BRIEF VOM 8. FEBRUAR 1855 AN CLARA SCHUMANN«Denken Sie, was ich die Nacht träumte. Ich hätte meine verunglückte Symfonie zu meinem Klavierkonzert benutzt und spielte dieses. Vom ersten Satz und Scherzo und einem Finale furchtbar schwer und groß. Ich war ganz begeistert.»
Das Klavierkonzert Nr. 1 beginnt im ersten Satz mit einem düsteren, dramatischen Orchesterauftakt: einem der eindrucksvollsten des gesamten 19. Jahrhunderts. Schon in den ersten Takten entfaltet sich eine Tragik, die von der Musik getragen wird und tief ins Persönliche reicht. Denn mitten in der Arbeit am Werk erlitt Brahms einen schweren Schock: Sein enger Freund Robert Schumann durchlebte eine schwierige Zeit. Er litt unter starken psychischen Beschwerden. Nach einem Selbstmordversuch 1854 verstarb er letztendlich 1856. Die emotionale Erschütterung dieser Ereignisse durchzieht das ganze Konzert, vor allem den ersten Satz, dessen kraftvolle Themen und eruptive Ausbrüche oft als musikalischer Ausdruck von Schmerz, Aufbegehren und innerem Kampf gedeutet werden. Der zweite Satz ist ein Gegenpol dazu: still, innig, fast andächtig. Brahms notierte über diesem Satz die Widmung «Benedictus qui venit in nomine Domini» (Gesegnet sei der, der da komme im Namen des Herrn), eine Referenz aus der katholischen Liturgie. Diese könnte als Hommage an den vor kurzem verstorbenen Kollegen und Fürsprecher Brahms’, Robert Schumann, verstanden werden. Als Inspiration für den zweiten Satz könnte Schumanns Frau gelten, die Brahms in einem Brief schrieb: «Auch male ich an einem sanften Portrait von dir, was dann Adagio werden soll.» Somit ist das Adagio ein Moment der Einkehr und des Trostes, von schlichtem, aber intensivem Ausdruck. Im dritten Satz kehrt die Energie zurück: Das Rondo-Finale ist rhythmisch markant, voller Kontraste und trotz aller Dramatik von einem gewissen Trotz und ungestümen Lebenswillen getragen. Hier verbindet Brahms meisterhaft klassische Formen mit romantischer Ausdruckskraft – ein stilistisches Markenzeichen, das sein späteres Werk prägen sollte.
Bei der ersten Aufführung vor größerem Publikum 1859 in Leipzig wurde das Konzert kühl aufgenommen, das Publikum war von der Ernsthaftigkeit, sinfonischen Dimension und Vielschichtigkeit der Komposition überfordert. Doch das Werk gewann über die Jahre an Anerkennung und setzte sich durch: Heute gilt Brahms’ Klavierkonzert Nr. 1 als Klassiker der Gattung, als Bindeglied zwischen Beethoven und der Spätromantik. Es ist Musik, die keine Oberflächlichkeit duldet: kompromisslos, ernst, menschlich tief – und damit ganz Brahms.
Katharina Wülfing, Paul Potsch
SERGEI RACHMANINOW
Sinfonische Tänze op. 45
Dauer: ca. 40 Minuten
Entstehung: 1940
Die Musikkritiker stellten den Sinfonischen Tänzen von Sergei Rachmaninow bei ihrer Uraufführung im Januar 1941 kein gutes Zeugnis aus. Langeweile komme auf, keine neuen Ufer würden erreicht, und es seien Anklänge von den Kompositionen seiner Kollegen zu vernehmen. Was die Kritik ihm zur Last legt, ist gleichzeitig der Grund für den Erfolg seiner Musik und zeigt seine Wurzeln in seiner Biografie. Weder geistlich noch kompositorisch ist Rachmaninow je richtig im Westen angekommen, ganz gleich, wie lange er dortblieb. Um seine Familie wenige Zeit nach der Oktoberrevolution zu evakuieren, reiste er während einer Konzertreise 1917 nach Skandinavien. Er kehrte bis zu seinem Tod nie in seine Heimat Russland zurück, was ihn in tiefe Trauer stürzte und eine Schaffenskrise auslöste. Seine Musik, die man heute der Spätromantik zuordnet und somit in der Traditionslinie der Romantik des 19. Jahrhunderts steht, fand in seiner Heimat noch viel Anklang. Jedoch wirkte sie im Westen bereits altmodisch, da dort einige Komponisten bereits mit viel moderneren Klängen das Publikum überraschten. Diese Schaffenskrise konnte er später überwinden. Der Kontrast zu seinem Umfeld blieb jedoch erhalten.
Das Gefühl, im Westen fremd zu sein, und die Sehnsucht nach Russland haben ihn bis zu seinem Tod 1943 nicht losgelassen. Das vernimmt man auch in den Sinfonischen Tänzen. Die Musik klingt wie ein Blick zurück in die Vergangenheit, sowohl auf sein persönliches Leben als auch auf sein Gesamtwerk. Das dreisätzige Werk sollte ursprünglich in die Teile Mittag, Abenddämmerung und Mitternacht gegliedert worden sein. Der erste Satz überzeugt mit einem kräftigen, marschähnlichen Rhythmus und stark dominierenden Dreiklangsfiguren. Im zweiten Satz findet man endlose Walzerpirouetten vor sowie eine besondere Betonung des Blechbläsersatzes. Der dritte Satz ist für sein musikalisches Zitieren des Dies irae (Tag des Zorns) bekannt. Diese gregorianische Melodie ist ein fester Bestandteil der Totenmesse und kommt in den Sinfonischen Tänzen nur verfremdet vor. Ob Rachmaninow seinen schleichend nahenden Tod kommen sah, bleibt letztlich ein Gerücht. Jedoch endet passend dazu der dritte Satz mit einem Stilmittel, das Rachmaninow in seiner Musik sehr häufig verwendet: das Glockengeläut. Eingeleitet durch eine immer hektischer werdende Spannung bildet die Musik einen aufsteigenden Triumphgesang, der in der russisch-orthodoxen Kirchenmusik häufig vertreten ist. Das Stück endet mit ein paar gewaltvollen Schlägen, die eine abrupte, körperlich spürbare Stille hinterlassen. Rachmaninows Rückwärtsgewandtheit zeigt sich zudem in den vielen Zitaten aus seiner eigenen Musik. Man vernimmt am Ende des ersten Satzes Elemente seiner Sinfonie Nr. 1, aufgehellt in ein strahlendes Dur. Der dritte Satz zitiert das bekannte Kirchenlied Gesegnet bist du, o Herr aus seinen eigenen Vesper-Vertonungen op. 37, auch genannt sein Großer Abend- und Morgenlob.
Die Sinfonischen Tänze präsentieren uns eine komplexe Komposition und markieren das Ende eines monumentalen künstlerischen Schaffens. Rachmaninow resümiert hier sein Leben, geprägt von Zerrissenheit zwischen Vergangenheit und Gegenwart sowie alter Heimat und neuer Fremde. Doch gerade in dieser Zerrissenheit liegt die zeitlose Größe des Werks – es spricht zu allen, die das Gefühl des Verlusts, der Sehnsucht und des Abschieds kennen. Rachmaninow blieben nach der Fertigstellung der Sinfonischen Tänze 400 letzte Lebenstage, bevor er seinem Lungenkrebs erlag. So vollendete sich das Paradox seines Lebens: Aus der Unfähigkeit, in der Gegenwart anzukommen, schuf er Musik für die Ewigkeit.
Vanessa Kruk, Yannick Lemasson
«I left behind my desire to compose: losing my country, I lost myself also.»SERGEI RACHMANINOW
MARC NIEMANN
Dirigent
Marc Niemann ist seit 2014 Generalmusikdirektor des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven. Seitdem hat er das Angebot systematisch ausgebaut und durch innovative Konzertformate neue Publikumsschichten erschlossen, was 2017 zur Aufnahme des Bremerhavener Klangkörpers in das Förderprogramm «Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland» der Bundesregierung führte. 2018 wurde Niemann von der Zeitschrift Opernwelt als «Dirigent des Jahres» nominiert. Seine Diskografie umfasst, neben der von der Presse hochgelobten zyklischen Einspielung aller Beethoven-Sinfonien, zeitgenössische Werke und die Einspielung der 3. und 6. Sinfonie Emilie Mayers, die 2022 für den internationalen Kritikerpreis «ICMA-Award» nominiert war. Jüngst wurde Niemann für den «OPUS Klassik» als «Dirigent des Jahres» und die Mayer-CD als «Sinfonische Einspielung des Jahres» nominiert. Er steht als Gastdirigent am Pult zahlreicher Orchester und Festivals im In- und Ausland, war 2022 direttore musicale des Cantiere Internazionale d’Arte di Montepulciano und engagiert sich auch kulturpolitisch als Vorsitzender des Landesmusikrates Bremen. Seit diesem Jahr ist Marc Niemann Intendant und Geschäftsführer des Sendesaals Bremen.
JOSEPH MOOG
Klavier
Innovative Programme und eine preisgekrönte Diskografie dokumentieren Joseph Moogs umfangreiches Repertoire und stehen für seine einzigartige Künstlerpersönlichkeit, die das Golden Age der Klaviermusik wiederbelebt. Mit leidenschaftlicher Musikalität, facettenreicher Klangästhetik und fesselnder Virtuosität begeistert er weltweit Publikum und Presse. Ausgezeichnet mit dem Gramophone Classical Music Award, zwei International Classical Music Awards und nominiert für den Grammy ist er auf den großen Bühnen der Welt zuhause. Diese Spielzeit führt Moog zu bedeutenden Konzerthäusern, Festivals und langkörpern, darunter die Tonhalle Zürich, die Liederhalle Stuttgart, Kölner Philharmonie, Bridgewater Hall Manchester sowie in das Concertgebouw Brugge, Konzerthaus Berlin und Beethovenhaus Bonn. Ferner kehrt er zurück zum Chopin Festival nach Nohant, zum Qatar Philharmonic Orchester und zu den Weilburger Schlosskonzerten. Joseph Moog, Sohn zweier Orchestermusiker, ist Preisträger des Prix Groupe Edmond de Rothschild und wurde 2009 in den Kreis der Steinway Artists berufen. Er ist Gründungsmitglied des Konz Musik Festivals und Kulturbotschafter seiner Heimatstadt Neustadt an der Weinstraße.
Impressum
HERAUSGEBER Philharmonisches Orchester Bremerhaven
SPIELZEIT 2024/2025, Nr. 27
GENERALMUSIKDIREKTOR Marc Niemann
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Markus Tatzig, Torben Selk
Die Texte dieses Flyers entstanden im Rahmen des Seminars Schnittstelle Musikvermittlung in schulischen und außerschulischen Kontexten – Zeitgemäße Outreachkonzepte im klassischen Musikbetrieb an der Universität Bremen unter der Leitung von Marc Niemann und Prof. Alexander Cvetko. Wir danken allen Beteiligten herzlich für ihre engagierte, kenntnisreiche und inspirierende Arbeit.
AUFFÜHRUNGSRECHTE
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll op. 15: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden
Sinfonische Tänze op. 45: Die Klassiker, Wien / Reprint-Ausgabe