Im Bilde!
Ibsen!
Henrik Ibsen wird 1828 in Skien, Norwegen, geboren. Im Alter von 16 Jahren beginnt er eine Apothekerlehre und arbeitet nach der Hälfte der Ausbildung in diesem Bereich als Gehilfe. Neben seiner Sympathie zur Medizin, entwickelt er schon früh eine Affinität für Kunst und Theater. Im Alter von 12 Jahren baut er sich ein Marionettentheater, mit Anfang 20 beginnt er historische Dramen zu schreiben und einige Jahre später wird er in Bergen Dramaturg, Regisseur sowie Dichter und später dann künstlerischer Leiter des Kristiania Norske Theaters. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten des Theaters, muss er diese Beschäftigung beenden, bleibt aber weiterhin als Berater und Dramaturg des Theaters tätig. 1864, im Alter von 36 Jahren, nimmt Ibsens Biographie eine Wendung, denn er verlässt Norwegen, reist viel und lebt 27 Jahre in Deutschland und Italien. Erst 1891 zieht er wieder zurück nach Christiania (heutiges Oslo).
Sein Leben ist immer wieder von finanziellen Schwierigkeiten geprägt. Schon früh erlebt Ibsen in seiner Kindheit durch den Konkurs seines Vaters einen sozialen Abstieg und später hat er zeitweise Schwierigkeiten sich und seine Familie aus Schuldensituationen zu befreien. Der Durchbruch in seiner Theaterkarriere zeichnet sich ab seinem 40. Lebensjahr ab: Seine Gedichte werden zum Erfolg, einige seiner Stücke werden ins Deutsche übersetzt und eines seiner wichtigsten Dramen, Peer Gynt, setzt sich 1876 als Oper durch. Ende der 1870er Jahre und zu Beginn der 1880er Jahre entstehen dann die Dramen Nora oder Ein Puppenheim, Gespenster und Ein Volksfeind, die aus literaturwissenschaftlicher Sicht in einem dialektischen Zusammenhang zueinander betrachtet werden müssen. Ibsen reagiert mit dem jeweiligen Theaterstück auf das zuvor veröffentlichte Stück und auf die Resonanzen, die insbesondere nach der Veröffentlichung von Gespenster aus der norwegischen Gesellschaft entsprungen sind. Später folgen weitere Werke wie z.B. Hedda Gabler. Henrik Ibsen stirbt 1906 nach mehreren Schlaganfällen im Alter von 78 Jahren in Christiania.
Volksfeind!
1882 schreibt und veröffentlicht Ibsen Ein Volksfeind. Entstanden ist das Drama als Antwort auf die Reaktion der norwegischen Gesellschaft auf das zuvor veröffentlichte Stück Gespenster. Die Öffentlichkeit lehnte das Stück, in dem die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft thematisiert wird und Religion kritisiert wird, ab. Auf die Ablehnung folgte sogar ein Verbot des Stückes in Norwegen und Deutschland. Ibsen reagierte indem er in Ein Volksfeind die Figur Tomas Stockmann erfand, die ein Problem aufdeckt, benennt und als Wahrheit öffentlich machen will, damit aber scheitert und von allen als Volksfeind bezeichnet wird. Der Figur widerfährt also genau das, was Ibsen selbst bei der Veröffentlichung von Gespenster passiert ist.
Und auch das Stück Gespenster kann als eine Reaktion auf das vorherige Drama Nora oder Ein Puppenheim gesehen werden, denn Nora ist eine Figur, die sich aus gesellschaftlichen Konventionen in ihrer kleinen individuellen Welt löst, sich befreit, Frau Alving, die Hauptfigur in Gespenster, hingegen bleibt in ihrer Ehe gefangen, sie bleibt eine unterdrückte, angepasste Frau. Aus diesen drei Stücken ergibt sich ein dialektischer Zusammenhang, wobei Nora oder Ein Puppenheim die These, Gespenster die Antithese, und Ein Volksfeind die Synthese bildet.
Ein Volksfeind ist also als Erkenntnis aus den zwei vorherigen Stücken, oder, um im genannten Bild zu bleiben, aus den vorausgehenden Positionen zu verstehen: Tomas Stockmann kämpft einen Kampf als Individuum. Er bleibt nicht in gesellschaftlichen Konventionen gefangen, wie es bei Gespenster der Fall ist, er kämpft seinen Kampf aber auch nicht im privaten, individuellen wie es bei Nora oder Ein Puppenheim der Fall ist, sondern er stellt sich als Einzelkämpfer gegen die Gesellschaft, gegen die Mehrheit.
Politik!
Ibsens Ein Volksfeind zeigt auf, wie schnell Personen, die sich gegen eine Mehrheit stellen, stigmatisiert und ausgegrenzt werden, aber auch wie ein Radikalisierungsprozess einer einzelnen Person aussieht. Zusätzlich verdeutlicht das Stück, wie schnell sich Meinungen ändern können, Fakten verdreht werden und wie opportunistisch eine Gesellschaft sein kann. Es beleuchtet die Politisierung des Privaten und fragt nach Grenzen der Demokratie. Das Konzept von Florian Thiel spiegelt diese aktuellen politischen Debatten wider. Ein wichtiges Element dieser Inszenierung ist die weibliche Besetzung der Hauptrollen. Mit diesem Kniff löst sie sich aus patriarchalen Mustern und setzt automatisch ein politisches Statement: Veraltete Strukturen werden hinterfragt und Konsequenzen, die bei weiblichen Personen stark ins Private dringen, werden aufgezeigt. Badeärztin Stockmann hat eine Tochter, eine Familie zu versorgen, ist berufstätig und kämpft für ihre Wahrheit. Sie riskiert mit ihrem Verhalten nicht nur ihren gesellschaftlichen Stand, sondern auch ihre private und wirtschaftliche Existenz.
«Der stärkste Mann der Welt ist der, der ganz allein steht.»Dr. Stockmann in «Ein Volksfeind»
Wenn man sich mit den vorherigen Stücken von Ibsen beschäftigt, ist die Besetzung eines weiblichen Volksfeindes nur konsequent, schließlich handelt es sich in Nora oder Ein Puppenheim und Gespenster auch um Frauen, die den Hauptkonflikt austragen. Um nicht in ein geschlechtsspezifisches Machtgefälle zu verfallen, in dem eine Frau gegen einen männlichen Gegenspieler kämpfen muss, ist auch die Figur der Bürgermeisterin weiblich besetzt. Diese Besetzung hat im Konzept wiederum Auswirkungen auf die anderen Figuren, die jeweils aus ihrer Position heraus die Hauptfigur unterschiedlich ansprechen. Sie sagen z.B. Doktor, Frau Doktor oder Frau Doktorin. Ein weiterer Hinweis darauf, dass Politik nicht im Öffentlichen verhaftet bleibt, sondern auch Auswirkungen auf kleinste, vermeintlich private, Details wie Sprache hat.
Justine Wiechmann
Argumente!
Doktorin Stockmann und Bürgermeisterin Stockmann streiten sich, beide behaupten, sich bestmöglich für den Badeort und die Stadtgesellschaft einzusetzen. Doch wer von ihnen hat recht? Wer hat die besseren Argumente? Welcher Position möchte man folgen? Ein bekanntes Szenario, welches einem tagtäglich begegnet: Schaut oder liest man Nachrichten, stößt man auf Diskussionen, Debatten und Informationen, die oft verwirrend sind. Es ist nicht einfach, sich innerhalb dessen zu orientieren und sich eine persönliche Meinung zu bilden. Hilfreich kann es sein, sich einen Überblick über die Argumentationslage zu verschaffen und dann eine eigene Position zum Diskurs einzunehmen und diese zu vertreten.
Dafür ist es wichtig, eigene Argumente zu entwickeln, die möglichst überzeugend sind. Dabei ist es von Vorteil sich mit der Struktur eines Argumentes auseinanderzusetzen. Dieses besteht in der Regel aus unterschiedlichen Prämissen und einer Konklusion, wobei die Prämissen die Konklusion, also die Schlussfolgerung, bestmöglich stützen sollten. Die Prämissen sollten wohlüberlegt, wahr und gut ausformuliert sein. Dadurch machen sie die Schlussfolgerung nachvollziehbar. Ebenso ist es wichtig, schwache Argumente des Gegenübers zu entlarven und selbst nicht in die gleiche Falle zu tappen. Damit das nicht passiert, findet sich hier eine Auflistung sogenannter Fehlschlüsse aus der Argumentationstheorie, um nicht nur die Positionen der Hauptfiguren besser einordnen zu können, sondern künftig auch politische Diskussionen mitgestalten zu können.
Justine Wiechmann
«Was sind denn das für Wahrheiten, um die sich die Mehrheit so gern versammelt?»Dr. Stockmann in «Ein Volksfeind»
Fehlschlüsse!
ad hominem: Um eine Position abzuwehren, wird die Person, nicht aber die Position angegriffen.
tu quoque: Statt der Position wird die Inkonsequenz dessen angegriffen, der sie vertritt.
ad baculum: Dem Gesprächspartner wird durch Drohungen nahegelegt der Konklusion zuzustimmen.
ad verecundiam (Autoritätsargument): Zur Stützung einer Position wird (zu Unrecht) eine, die Position unterstützende, Autorität angeführt.
ad populum: Zur Stützung einer Position wird angeführt, dass praktisch alle, eine Mehrheit, eine „Szene“ sie teilt.
ad misericordiam: Statt eines Arguments wird an das Mitgefühl der Gesprächspartner appelliert.
ignoratio elenchi (missing the point): Die Prämissen stützen eigentlich eine andere Konklusion als die, die genannt wird. Eine Unterart ist das Strohmann-Argument, welches gerne in Wahlkämpfen genutzt wird. Dieses Argument ist eine rhetorische Technik, die die Position des Gegners verzerrt darstellt, um sie dadurch leichter widerlegen zu können.
Red Herring: Zur Ablenkung wird ein Element eingeführt, das von der eigentlich zu verhandelnden Sache ablenkt.
hasty generalisation: Die Konklusion macht eine Aussage über alle Personen oder Dinge einer Menge auf der Basis der Kenntnis eines einzelnen Falles.
ad ignorantiam: Eine Konklusion wird als wahr hingestellt, weil sie nicht als falsch erwiesen wurde, bzw. eine Konklusion wird als falsch hingestellt, weil sie nicht bewiesen wurde.
Falsche Dichotomie: In einer Aufzählung in den Prämissen fehlt eine wichtige Alternative.
Schiefe Bahn - Argumente (Slippery slope): (Falsche) Annahme, dass das Zulassen/Verbieten einer Handlung unvermeidlich zu einer Kette von unerwünschten Ereignissen führt.
Impressum
HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2025/2026, Nr. 8
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Justine Wiechmann
SATZ Nathalie Langmaack
QUELLEN
Bernhardt, Rüdiger, «Königs Erläuterungen: Henrik Ibsen - Ein Volksfeind», Bange Verlag GmbH, Hollfeld 2017.
Detel, Wolfgang, «Grundkurs Philosophie - Band 1: Logik“» Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart 2007.
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