Inhalt
Nils ist allein zuhause. Seine Eltern haben ihn ermahnt, nichts anzustellen, während sie in der Kirche sind. Das hat auch einen Grund, denn Nils hat schon oft die Tiere auf dem Hof geärgert, ihnen böse Streiche gespielt, polternd Dinge kaputt gemacht und sich Menschen und Tieren gegenüber nicht gut verhalten. Heute aber sitzt er zuhause und bastelt. Heute will er nichts anstellen! Da hört er einen Wichtel. Der poltert ein wenig in der Wohnung. Nils will ihn zur Rede stellen, doch verzaubert der Wichtel ihn in einen Winzling. Gerade in diesem Moment fliegen die Wildgänse vorbei. Spottend rufen sie den Hausgänsen zu: «Kommt mit, wir fliegen bis nach Lappland!» Martin, die Hausgans, träumt schon sein Leben lang davon, mitzufliegen und macht sich auf den Weg. Doch Nils will ihn aufhalten, das würde nur noch mehr Ärger mit den Eltern bedeuten! Martins Traum verleiht ihm große Kraft, und er hebt ab – und zieht Nils hinter sich her. Schon bald fliegt er mit Martin und der Gänseschar Richtung Norden. Es sind drei: die Leitgans Akka, Yksi und Kolme, die kleinste. Die wollen aber keinen Menschen dabei haben – zu schlechte Erfahrungen haben sie mit den Menschen gemacht.
Doch als Smirre, der Fuchs, kommt und Nils eine der Wildgänse vor ihm rettet, dürfen Martin und Nils mitfliegen zum Friedensfest der Tiere auf dem Kullaberg. Hier gibt es jedes Jahr einen großen Tanzwettbewerb. Als Smirre den Frieden stört, indem er Kolme verschleppen will, ist das Fest zu Ende. Smirre wird verstoßen und muss fortgehen. Die Wildgänse, Martin und Nils fliegen wieder los Richtung Norden und kommen in einen Schneesturm. In einer Höhle suchen sie Zuflucht. Smirre hat sich als Schaf verkleidet und will sich Zugang zur Höhle verschaffen. Doch Nils durchschaut ihn. Smirre probiert es vergeblich als Eichhörnchen und als Gans, aber Nils enttarnt ihn immer wieder. Als Smirre verjagt ist, können Nils und die Gänse endlich einschlafen. Im Traum erscheint ihm Ysätters-Kajsa, ein Troll, der Wetter macht, die Zukunft und die Vergangenheit kennt. Doch eine Hilfe ist er Nils nicht. Als er aus dem Traum erwacht, findet er sich allein und trifft auf den Bär, dem er schon beim Friedensfest begegnet ist. Der Bär hasst die Menschen, weil sie lärmende, stinkende Fabriken bauen und die Tiere aus ihrer Heimat verdrängen. Er will Nils zwingen, die Fabrik zu zerstören. Doch Nils will die Menschen darin nicht in Gefahr bringen. In letzter Sekunde rettet Akka Nils vor dem wütenden Bären.
Gemeinsam mit den Wildgänsen und Martin fliegt Martin nach Lappland, wo sie einen herrlichen Mittsommertag verbringen. Doch Nils hat Heimweh, also fliegen die Gänse mit ihm zurück nach Süden. Aber Martin nimmt ihm den verfrühten Aufbruch übel und streitet sich mit Nils. So in den Zwist vertieft, verlieren sie den Anschluss an die Wildgänse. Martin verschwindet, und Nils, dem es leid tut,
sucht nach ihm. Dabei begegnet er Smirre, der sich diesmal nicht so leicht überwinden lässt. Zu oft hat Martin ihn um ein Festmahl gebracht, jetzt soll er sterben. Da taucht als Retter in der Not Martin auf, bereit, sich für Nils zu opfern. Damit rühren die beiden Smirre so sehr, dass er sie ziehen lässt. Sie finden die Schar wieder und fliegen nach Hause, wo Nils und Martin von den Eltern liebend aufgenommen werden.
STROM IM KOPF
Manchen Menschen saust ständig ein neuer Gedanke durch den Kopf. Sie haben verrückte Ideen, haben einen hohen Drang, sich immerzu zu bewegen. In der Schule ist das oft nicht so leicht, weil sie immer wieder abgelenkt werden. Und dann kommt wie ein Blitz schon wieder ein neuer Gedanke in den Kopf! Ganz schön anstrengend! Manche dieser Gedanken sind so lustig, so reizvoll, so interessant, dass sie in die Tat umgesetzt werden wollen. Es ist aber oft nicht gut, alles zu sagen oder zu tun, das uns einfällt. Nils ist auch so ein Kind. Auf seiner Reise werden ihm die Menschen und die Tiere so wichtig, dass er bei seiner Rückkehr nicht mehr alle Quatschideen umsetzen muss, die ihm in den Sinn kommen. Das heißt nicht, dass diese Ideen nicht mehr kommen. Aber er muss sie nicht mehr immer auch wahr werden lassen und hat die Freiheit, zu entscheiden, was er tun will und was nicht. Und viele Menschen üben ihr ganzes Leben lang, dorthin zu kommen.
Bianca Sue Henne
Wichtel und Trolle in Skandinavien
In der skandinavischen Kultur gibt es zahlreiche Fabelwesen, die unterschiedliche Lebensweisen und Aufgaben haben. In unserem Stück Nils Holgersson treten zwei davon auf: der Wettertroll Ysätters-Kajsa und der Wichtel, der Nils verzaubert. Im Originaltext von Selma Lagerlöf heißt der Wichtel «Tomte». Das ist das schwedische Wort für Wichtel. Wichtel (oder manchmal auch Hauswichtel genannt) sind kleine koboldartige Wesen, die in einem Haus oder auf dem Hof leben. Sie unterstützen die Menschen, die dort leben (erledigen z. B. die Hausarbeit, während die Menschen nachts schlafen oder helfen beim Basteln der Weihnachtsgeschenke) und beschützen sie vor bösen Geistern und Unglück – unter der Bedingung, dass die Menschen sie respektieren und gut behandeln.
Das heißt, die Menschen dürfen nicht versuchen, die Wichtel reinzulegen, um sie z. B. heimlich zu beobachten bei ihrer Arbeit, und sie müssen ihnen ab und zu etwas Kleines zum Essen hinstellen, um ihnen ihre Wertschätzung zu zeigen. Hauswichtel lieben Milchreis oder Hafergrütze, den sie mit einem Holzlöffel essen, Metall mögen sie gar nicht. Trolle hingegen leben nicht bei den Menschen. Sie sind ihnen gegenüber nicht bösartig, aber sie sind auch nicht sehr freundlich. Trolle leben in der Natur – in Wäldern, Bergen oder Höhlen. Sie können sich ihrer natürlichen Umgebung so gut anpassen, dass wir Menschen sie kaum erkennen. Ursprünglich hat man sich Trolle als riesenhafte Wesen vorgestellt, heute stellen sich die Menschen eher ein kleines listiges, koboldartiges Wesen mit großer Nase vor. Egal ob groß oder klein – wer in Skandinavien unterwegs ist, sollte also lieber freundlich zu Wichteln und Trollen sein.
Julia Balzert
SELMA UND ZWEIMAL NILS
Selma Lagerlöf lebte von 1858 bis 1940 in Schweden. Sie wuchs auf einem Gutshof auf, viele ihrer Verwandten waren Pfarrer. Das Landleben und die vielen Gottesdienste fand sie als Kind sehr langweilig, und so hat sie für Nils Holgersson eine sehr aufregende Reise geschrieben mit viel Abenteuer und echten Gefahren. Das gefiel dem Lehrerverband, der ihr den Auftrag für ein Schullesebuch für Grundschüler gab, nicht besonders. Dennoch war Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen, das sie 1906 schrieb, eine sehr wichtige Arbeit und Grundlage für ein Leben in Wohlstand, denn das Buch wurde schnell in mehr als 30 Sprachen übersetzt. 1909 bekam Selma Lagerlöf als erste Frau den Literaturnobelpreis «aufgrund des edlen Idealismus’, des Phantasiereichtums und der seelenvollen Darstellung, die ihre Dichtung prägen», wie es in der Begründung heißt.
Diese Qualitäten finden sich auch im Abenteuer um Nils Holgersson. Nils entwickelt sich auf der Reise mit den Wildgänsen nach Lappland und zurück, die ein halbes Jahr lang dauert, von einem wilden, manchmal gemeinen Kind zu einem mitfühlenden Jungen, der erst, als er seine menschliche Form verloren hat und mit den Tieren lebt, seine Menschlichkeit entdeckt. Die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Tierwelt zieht sich durch die ganze Erzählung, und auch die Tiere, die den Menschen zunächst ausschließlich als Bedrohung wahrnehmen können, ändern ihre Sicht. Dabei zeigt die Geschichte uns Schwedens schöne Landschaften. Anfang des 20. Jahrhunderts nahm die Industrialisierung viel Raum ein, und es gab erste Erkenntnisse darüber, dass die vielen rußigen Abgase aus Fabrikschloten für die Tiere, die in der Gegend leben, sehr schädlich sind. Ohne die Uhr zurückdrehen zu wollen fordert Selma Lagerlöf in ihrem Roman ein, dass bei allem technischen Fortschritt für die Tiere noch Raum sein muss in einem großen Land wie Schweden. Etwa 120 Jahre danach scheint dies heute noch immer eine wichtige Mahnung.
Nils Zapfe hat eine Stückfassung geschrieben, die leichtfüßig klingt, klare Situationen darstellt, viel Spannung und Abenteuer hat und sehr lustig ist. Dabei malt sein Text große, poetische Bilder und hat darunter viel Tiefgang. Genau das Richtige für ein Familienstück im Großen Haus!
Bianca Sue Henne
Hausgänse und Wildgänse
Wusstest du, dass …
- es weltweit ca. 15 Gänsearten gibt?
- Hausgänse nur ganz kurze Strecken (50-100 m) fliegen können
- viele Wildgänse (und andere Zugvögel) im Winter in wärmere Regionen fliegen, weil sie in ihrer Heimat im Winter keine Nahrung finden?
- Wildgänse (und Kraniche) in V-Formation fliegen, weil sie damit bis zu 20% Energie sparen?
- sich die Leitgänse, die die V-Formation anführen, abwechseln, weil es super anstrengend ist, als Leitgans eine V-Formation anzuführen?
- sich manche Menschen Gänse als «Wachgänse» halten?
- Wildgänse bei ihren Flügen eine Strecke von bis zu 6.000 km zurücklegen?
- sich Gänse von Samen, Nüssen, Gras, Pflanzen und Beeren ernähren?
- sich Wildgänse bei ihrem Flug an den Himmelskörpern, Flüssen, Meeresküsten und sogar Autobahnen orientieren?
... ganz schön beeindruckend, oder?
Julia Balzert
Impressum
HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2025/2026, Nr. 9
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Bianca Sue Henne
SATZ Nathalie Langmaack
QUELLEN
Die Texte «Inhalt», «Strom im Kopf» und «Selma und zweimal Nils» von Bianca Sue Henne sowie «Wichtel und Trolle in Skandinavien» und «Hausgänse und Wildgänse» von Julia Balzert sind Originalbeiträge für diesen Programmflyer.
