VON NEID ZERFRESSEN
In dem Drama Amadeus wird das ambivalente Verhältnis zwischen dem Komponisten Salieri und dem genialen Musiker Mozart dargestellt. Salieri empfindet einerseits Bewunderung, andererseits Neid und tiefe Missgunst gegenüber Mozarts außergewöhnlichem Talent. Er folgt der Empfindung des Neides und manipuliert und kontrolliert so Mozarts Erfolg. Diese Gefühle und das anknüpfende Verhalten führen zu einem moralischen Dilemma, in dem Salieri seine eigenen Werte und seine Identität infrage stellt. Zuvor als erfolgreicher, zuverlässiger Musiker und Musikpädagoge bekannt, sorgt er nun dafür, dass Mozart keine Einkünfte in Wien generieren kann und erpresst dessen Frau Constanze.
Vermutlich kennen wir alle das Gefühl jemanden etwas zu neiden. Der Blick auf den Erfolg eines anderen, den man sich selbst so sehr wünscht, kann dieses unangenehme Gefühl auslösen. Vor allem, wenn die Person augenscheinlich weniger für diesen Erfolg getan hat, als man selbst. Man verspürt das Gefühl, dass die Person es doch gar nicht verdient hat. Gönnen fällt da schwer. Neid ist eine gewöhnliche Emotion, die jeden von uns schon einmal heimgesucht hat und mit der wir umgehen müssen. Aber wie ist der richtige und konstruktive Umgang damit? Sich sprichwörtlich von Neid zerfressen zu lassen, kann nicht der geeignete Weg sein.
Der Philosoph Adam Smith, der 1759 das Werk Die Theorie der ethischen Gefühle veröffentlichte, würde an dieser Stelle vermutlich argumentieren, dass Neid zu einer Störung des sozialen Gleichgewichts führen kann, wenn diese Emotion unref lektiert ausgelebt wird. Smith postuliert, dass diese negativen Emotionen durch moralische Bildung und empathisches Verständnis gemildert werden können. Nach ihm ist jeder Mensch in der Lage, Empathie zu empfinden und kann sich somit in die Perspektive eines anderen Menschen hineinversetzen und dessen Gefühle und die daraus resultierenden Handlungen nachvollziehen. Der Mensch wäre also auch in der Lage sich in die Perspektive einer erfolgreichen Person hineinzuversetzen und die damit einhergehende Freude mitzufühlen. Gemeinsames Freuen würde dieses Gefühl wahrscheinlich sogar noch verstärken.
In der heutigen Gesellschaft, die von sozialen Medien und dem ständigen Vergleich mit anderen geprägt ist, wird das Phänomen der Missgunst und des Neides noch verstärkt. Auch hier kann es sicherlich sinnvoll sein, diese Gefühle immer wieder zu ref lektieren und sich zu besinnen, dass ein Perspektivenwechsel im Sinne Smiths zu einem ausgeglicheneren sozialen Gleichgewicht und zu empathischeren und gerechteren sozialen Interaktionen führen kann. Das Streben nach Anerkennung und die Überwindung von Missgunst sind nicht nur zentrale Themen, die die Figuren in Amadeus betreffen. Auch wir als Rezipierende können uns nach dem Theaterstück einmal fragen, was diese Themen mit sozialer Gerechtigkeit und Gemeinschaft zu tun haben und so ein tieferes Verständnis für die Bedeutung von Empathie und moralischer Integrität entwickeln.
Justine Wiechmann
Venticelli in Amadeus«Es gab damals Gerede.»
«Als Mozart im Sterben lag.»
«Er behauptete man habe ihn vergiftet.»
«Er hat einen Mann bezichtigt.»
«Salieri.»
«Doch hat das keiner geglaubt.»
«Man wusste woran er starb.»
«An Syphilis, woran denn sonst.»
«Wie jeder andere auch.»
HYPOTHESEN ZU MOZARTS TOD
Aus dem Programmheft des Staatstheater Darmstadt zu AMADEUS, 1991
Krankheiten
1. Chronische Nephritis mit Urämie (J. Barraud 1905, Szametz 1936, Holz 1941, Leffkowitz 1956, Greither 1956, 1981)
2. Maligne Nephrosklerose und Zystennieren (Juhn 1956)
3. Schilddrüsenkrankheit (Sederholm 1959)
4. Akutes rheumatisches Fieber (Bär 1972)
5. Akute epidemische Krankheit (Hildesheimer 1977)
6. Akute Infektionskrankheit mit Sepsis (Barthelme 1983)
7. Streptokokkenerkrankkung, Purpura Schönlein-Henoch (Davies 1983)
8. Quecksilbervergiftung in mörderischer Absicht (Kerner 1957, Dalchow 1966, Böhme 1981)
9. Quecksilbervergiftung durch ärztliche Behandlung (Scheidt 1967, Heine 1984)
Bezichtigte Mörder
1. Antonio Salieri (Hofkapellmeister des Kaisers)
2. Franz Hofdehmel (Hofkanzlist in Wien)
3. Baron Gottfried van Swieten (Hofbibliothekar in Wien)
4. Franz Xaver Süssmayr (Chordirigent in Baden/Wien)
5. Die Freimaurer (Fememord)
6. Die behandelnden Ärzte (Dr. Closset und Dr. Sallaba)
WOLFGANG AMADEUS MOZART
Wolfgang Amadeus Mozart wurde 1756 in Salzburg geboren. Er war ein österreichischer Komponist der Wiener Klassik und gilt bis heute als eines der größten musikalischen Genies der Geschichte. Bereits als Kind zeigte er außergewöhnliche Begabung und trat gemeinsam mit seiner Schwester Nannerl in vielen europäischen Höfen auf. Er komponierte schon im Kindesalter Sinfonien, Konzerte und Opern. Mozarts Werk umfasst über 600 Kompositionen, darunter berühmte Opern wie Die Zauberflöte, Don Giovanni und Die Hochzeit des Figaro. Seine Musik zeichnet sich durch Klarheit, Eleganz und eine tiefe emotionale Ausdruckskraft aus.
Trotz seiner künstlerischen Erfolge hatte Mozart zeitlebens finanzielle Schwierigkeiten und starb bereits 1791 im Alter von 35 Jahren in Wien. Sein frühes, mysteriöses Ende trug zur Legendenbildung um seine Person bei. Heute wird er weltweit als Symbol für musikalische Vollkommenheit verehrt.
ANTONIO SALIERI
Antonio Salieri wurde 1750 in Legnago, heutiges Italien geboren. Er wirkte den Großteil seines Lebens als Komponist, Dirigent und Musikpädagoge in Wien. Er war einer der einf lussreichsten Musiker seiner Zeit und diente über 30 Jahre lang als Hof kapellmeister am kaiserlichen Hof der Habsburger. Salieri komponierte Opern, geistliche Musik, Kammermusik und Orchesterwerke und war besonders für seine Opern in italienischer und französischer Sprache bekannt.
Zu seinen bekanntesten Opern zählen Les Danaïdes, Axur, re d’Ormus und Prima la musica e poi le parole. Obwohl seine Musik nach seinem Tod lange Zeit in Vergessenheit geriet, erlebt sie heute eine gewisse Wiederentdeckung. Salieri unterrichte auch bedeutende Persönlichkeiten wie Franz Schubert, Ludwig van Beethoven und Franz Liszt.
Im späten 20. Jahrhundert wurde Salieri durch das Theaterstück Amadeus von Peter Shaffer bekannt, das fälschlicherweise andeutet, er habe Mozart beneidet und möglicherweise sogar seinen Tod verursacht. Historisch gibt es jedoch keine Beweise für einen solchen Konflikt – im Gegenteil: Es ist belegt, dass Salieri Mozarts Musik schätzte und sogar Werke von ihm aufführte. Salieri starb 1825 in Wien.
PETER SHAFFER
Peter Shaffer wurde 1926 in Liverpool geboren. Er studierte in Cambridge Geschichte und arbeitete nach seinem Studium zunächst in einer Bibliothek in New York City. Später war er u.a. für einen Musikverlag in London tätig und arbeitete als Musik- und Literaturkritiker. Als Dramatiker und Drehbuchautor schrieb er unterschiedliche Theaterstücke, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Zu seinen wichtigsten Werken zählen Equus, welches 1973 veröffentlicht wurde und Amadeus aus dem Jahr 1979. Beide Dramen wurden später erfolgreich verfilmt.
Amadeus, sein bekanntestes Stück, beschäftigt sich mit dem erdachten inneren Konflikt des Komponisten Antonio Salieri, der von Neid auf das Genie Mozarts zerfressen wird. Das Drama verwebt historische Fakten mit fiktiven Konf likten und zeichnet ein spannungsgeladenes Porträt von Genialität, Eifersucht und Glaube. Die Verfilmung von Amadeus durch Miloš Forman aus dem Jahr 1984 wurde ein Welterfolg und gewann acht Oscars, darunter für den besten Film und das beste adaptierte Drehbuch.
Peter Shaffer starb 2016 in Curraheen, County Cork.
Impressum
HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2024/2025, Nr. 26
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Justine Wiechmann
QUELLEN
Smith, Adam: «Theorie der ethischen Gefühle», Hrsg.: Horst D. Brandt; Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2010.
www.klassikakzente.de/wolfgang-amadeus-mozart/biografie, letzter Zugriff am 19. Mai 2025.
www.klassikakzente.de/antonio-salieri/biografie, letzter Zugriff am 19. Mai 2025.
Suthoff, Barbara, Programmheft zur Aufführung AMADEUS, Staatstheater Darmstadt, 1991, S. 31.
Der Text «Von Neid zerfressen» ist ein Originalbeiträge für diesen Programmflyer.
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