Unangepasst
Manuel Puig, der 1933 in der Provinz General Villegas in Argentinien geboren und aufgewachsen ist, entdeckte aufgrund mangelnder Möglichkeiten in seinem Heimatort früh seine Leidenschaft für das Kino. Der Film bot ihm die Möglichkeit, in fremde Welten abzutauchen und so der Alltäglichkeit zu entkommen. Später entfloh Puig der Provinz und studierte zunächst Literaturwissenschaften in Buenos Aires. Danach begann er ein Filmstudium in Rom, brach dieses aber aufgrund dogmatischer und einengender Strukturen ab: «Man wollte mir etwas aufzwingen, das ich ablehnte. Also habe ich die Filmschule verlassen.»
Puig erschuf, nachdem er sich als Regieassistent und Drehbuchautor beim Film ausprobierte, unterschiedliche Romane, die sich durch experimentelle Erzähltechniken auszeichnen. Zu seinen wichtigsten Werken, die auch im deutschsprachigen Raum bekannt sind, zählen u. a. Verraten von Rita Hayworth, Die Engel von Hollywood, Unter einem Sternenzelt und Der Kuss der Spinnenfrau. Im Letzteren verwob er Dialoge mit Beschreibungen von Filmszenen. Er kreierte die Figur Molina, die es liebt in Filmwelten abzutauchen, um der Realität zu entfliehen. Schaut man sich Puigs Biographie an, wird ziemlich deutlich, dass persönliche Anteile von ihm in beiden seiner Hauptfiguren in Der Kuss der Spinnenfrau wiederzufinden sind.
Molina, der gemeinsam mit Valentin, einem linksradikalen Kämpfer, in einer Gefängniszelle in Buenos Aires sitzt, nutzt das Erzählen dieser Filmszenen, um zu Valentin durchzudringen und eine besondere Bindung zu ihm herzustellen. Gleichzeitig eröffnet Molina, durch das Beschreiben der geliebten Filmmomente, die eigene Gefühlswelt und legt Träume und Sehnsüchte offen. Auch in Valentin finden sich Charakterzüge des Autors wieder. Puig zeichnet Valentin als einen ideologischen Revolutionär, der diszipliniert seine politischen Ziele verfolgt. Auch Puig hinterfragte immer wieder gesellschaftliche Normen und kämpfte für Rechte von Minderheiten und setzte sich durch sein kreatives Schaffen gegen politische Unterdrückung ein. Ebenso war es ihm wichtig Klischees und Stereotypen zu hinterfragen.
Seine besondere, exzentrische Erzählweise, die auf einen klassischen, allwissenden Erzähler verzichtet und sich eher durch Dialoge, Monologe oder eben beschreibende Filmsequenzen auszeichnet, wurde in den 1970er und 1980er Jahren in Argentinien nicht besonders geschätzt. Und auch seine Inhalte, die sich gegen soziale und sexuelle Unterdrückung wandten, stießen nicht auf große Begeisterung. Dies führte vermutlich auch dazu, dass Puig mehr im Exil als in seinem Heimatland lebte − er galt in Argentinien eher als Fremder.
Die politische Situation in Argentinien machte es Künstler:innen wie Manuel Puig nicht besonders einfach. Puig selbst, der homosexuell lebte, musste ein Doppelleben führen, um seine familiären Beziehungen zu pflegen und in der Gesellschaft einen Platz einnehmen zu können. Schon früh beeinflussten extreme politische Bedingungen das Leben von Manuel Puig. Seine Kindheit war zunächst von nationalistischen Bewegungen, die sich am europäischen Faschismus orientierten geprägt. Später regierte Perón viele Jahre in Argentinien und es folgten wirtschaftliche Krisen. Auch nach seiner Zeit als Präsident blieb Perón aus dem Exil einflussreich. In den gesamten Jahrzehnten durchlebte Argentinien immer wieder politische Tiefpunkte, doch 1976 kam es zu einer besonders dunklen Periode in der politischen Geschichte Argentiniens: Der Militärdiktatur.
Justine Wiechmann
«Ohne Macht kann in dieser Gesellschaft niemand sicher seinen Weg gehen.»Valentin in «Der Kuss der Spinnenfrau»
Argentiniens Militärdiktatur
Im März 1976 putscht sich das Militär an die Macht und beendet so die Regierung unter Präsidentin Isabel Martinez de Perón. Diese hatte das Land nach dem Tod ihres Mannes Juan Perón regiert. Ihre Präsidentschaft führte zunehmend zu wirtschaftlichen Problemen Argentiniens. Als das Militär an die Macht kam, hatte die Bevölkerung zunächst Hoffnung, da sich die wirtschaftliche Situation anfänglich stabilisierte. Der zuversichtliche Zustand hielt aber nicht lange an: Die Junta kündigte an, sich nach extrem konservativen Werten zu richten und das Land von subversiven Elementen zu säubern. Dies bezog sich vor allem auf politische Gegner:innen, Aktivist:innen, Intellektuelle und vermeintliche Sympathisant:innen linkspolitischer Ideale. Die Gruppierungen wurden systematisch verfolgt, sie wurden entführt, gefoltert und ermordet. In den Jahren der Militärdiktatur verschwanden schätzungsweise 30.000 Menschen spurlos. Die Junta nutzte dafür perfide Techniken, wie die sogenannten Todesflüge: Sie warfen Gefangene aus Flugzeugen ins offene Meer. Außerdem kam es zu Kindsraub und Zwangsadoptionen. Frauen, die in Gefangenschaft Kinder bekamen, wurden die Säuglinge genommen und an kinderlose Offiziers- und Unternehmerfamilien gegeben. Die Aufarbeitung dieser Vorfälle dauert bis heute an. Die Presse wurde streng zensiert und kulturelle Ausdrucksformen wie Musik, Theater und Literatur wurden stark kontrolliert. Die Gesellschaft war von Angst und Kontrolle geprägt. Jede:r war dazu angehalten verdächtiges und auffälliges Verhalten zu melden. Gegen all diese Verbrechen gab es in der Bevölkerung allerdings auch Widerstand und Menschenrechtsbewegungen. Zu den bekanntesten Widerstandsbewegungen zählten die Madres de Plaza de Mayo: Mütter versammelten sich seit 1977 auf dem Hauptplatz von Buenos Aires, demonstrierten und forderten Aufklärung über das Schicksal ihrer verschwundenen Kinder. Die Militärdiktatur endete zu Beginn der 1980er Jahre im Zuge des Falklandkrieges.
Justine Wiechmann
Freiheit
Die Freiheit ist in der Regel Gegenstand einer dreifachen Analyse. Zunächst ist sie ein metaphysischer Begriff. Dabei geht es um die Frage, ob der Mensch frei ist oder von Zwängen bestimmt wird, die er nicht kontrollieren kann. Wenn er der wesentliche Verursacher seiner Entscheidungen ist, dann wird ihm die Willensfreiheit zugeschrieben (auch Freiheit der Indifferenz genannt). Aber ein solches Vermögen, das klar von einem Willen abgegrenzt werden muss, der willkürlichen Impulsen unterworfen ist, ist schwer zu beweisen und scheint im Widerspruch zu den Naturgesetzen zu stehen, die auf einem strengen Determinismus beruhen. Zweitens ist die Freiheit ein moralischer Begriff. So ist Kant der Auffassung, dass die Freiheit, mag sie auch nicht beweisbar sein, vorausgesetzt werden muss, damit Moral möglich ist. Tatsächlich kann nur ein freies Wesen zwischen Gut und Böse wählen, denn nur wer dazu imstande ist, kann auch moralische Verantwortung zu übernehmen. Im Umkehrschluss kann nach Kant auch nur ein moralisches Wesen frei sein: Freiheit ist dann gleichbedeutend mit Autonomie. Schließlich ist sie ebenso ein politischer Begriff. Der freie Bürger steht dem Sklaven gegenüber. Als liberal gilt ein Staat, wenn er wenig Zwänge auf das Individuum ausübt. Wenn der Einzelne die Ansicht vertritt, die Gesetze seien zu einschränkend und verhinderten die Ausübung seiner Freiheit, kann er den Staat in all seinen Formen in Frage stellen und für illegitim halten. Eine solche Person wird dann als libertär oder anarchistisch bezeichnet.
Philosophie Magazin
«Ich bin frei!»Molina in «Der Kuss der Spinnenfrau»
Gedanken
«der Spatz auf dem Ast / fliegt gedankenlos davon / er hat ja die Wahl»
Finn Lorenzen
«Freiheit bedeutet für mich Entfaltung, wahrhaftig zu sein und das Leben selbstbestimmt, flexibel und offen nach eigenen Vorstellungen zu leben.»
Sarah Haack
«Freiheit bedeutet für mich die Unabhängigkeit von Ideen und Kreativität und die Verantwortung der Achtsamkeit gegenüber unserer Umwelt und Mitmenschen.»
Nina Sievers
«Neben Gesundheit ist Freiheit für mich das höchste Gut. Seit ich Kind bin, strebe ich danach, die größtmögliche Freiheit in meinem Leben zu erlangen.»
Kristin Trosits
«In einer Demokratie zu leben.
Meine Freiheit hört dort auf, wo sie andere einschränkt.»
Leon Häder
«Für mich bedeutet Freiheit die Möglichkeit und den Mut,
dass zu machen, was man will,
und die Person sein zu können, die man ist.»
Viktoria Scharf
«Für mich bedeutet Freiheit ein Miteinander auf Augenhöhe, gegenseitiger Respekt und Gleichberechtigung.»
Henning Z Bäcker
«Was Freiheit ist, lernt man erst, wenn man sie nicht mehr hat.»
Alexander Smirzitz
«Freiheit gibt es nur im Paket – zu ihr gehören immer Gleichheit und Gerechtigkeit. Freiheit bedeutet, in einem Staat zu leben, der an alle denkt – sie ist das Wesen der Demokratie.»
Ann-Kathrin Tietje
Impressum
HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2024/2025, Nr. 18
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Justine Wiechmann
QUELLEN
www.philomag.de/lexikon/freiheit; letzter Zugriff am 15. Februar 2025 // www.deutschlandfunk.de/argentinien-die-graeuel-der-militaerdiktatur-100.html, letzter Zugriff am 15. Februar 2025 // www.zeit.de/politik/2024-03/argentinien-militaerdiktatur-frau-verschleppung-brueder-nachrichtenpodcast, letzter Zugriff am 15. Feburar 2025 // www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/223408/vor-40-jahren-beginn-der-militaerdiktatur-in-argentinien/ letzter Zugriff am 15. Februar 2025.
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