Handlung
1. Akt
Die Zofe Susanna und der Diener Figaro wollen heiraten. Susanna erzählt Figaro, dass Graf Almaviva ihr nachstellt und ihre Hochzeit verhindern will. Die Haushälterin Marcellina ist der Trumpf des Grafen: Sie hat einen Vertrag, laut dem Figaro seine Schulden bei ihr begleichen oder sie heiraten soll. Figaro und Susanna wollen sich gegen den Grafen wehren. Doch viel Zeit haben sie nicht: Denn schon steht dieser vor Susannas Tür …
2. Akt
Figaro, Susanna und die Gräfin schmieden einen Plan: Susanna soll den Grafen zum Rendezvous einladen. Dort erscheint aber der Page Cherubino, verkleidet als Susanna. So wollen sie den Grafen ertappen und zum Einlenken bringen. Der Graf erwischt die vier beinahe beim Verkleiden. Doch sie können sich retten. Marcellina bringt ihre Klage vor. Der Graf verschiebt die Hochzeit, um den Fall zu untersuchen.
3. Akt
Susanna und die Gräfin ändern ihren Plan: Nicht Cherubino, sondern die Gräfin selbst verkleidet sich als Susanna für das Rendezvous. Figaro weiß nichts von dem Plan. Aus heiterem Himmel stellt sich heraus, dass Figaro Marcellinas Sohn ist. Der Plan des Grafen löst sich in Luft auf. Die Gräfin diktiert Susanna einen Brief, um den genauen Ort des Rendezvous’ festzulegen. Anschließend findet die Hochzeit statt. Dort erhält der Graf Susannas Brief.
4. Akt
Der Graf trifft die als Susanna verkleidete Gräfin. Figaro sieht die beiden und wird wütend, ehe die echte Susanna auftaucht. Die beiden versöhnen sich. Schließlich zeigt die Gräfin dem Grafen ihr wahres Gesicht. Der Graf entschuldigt sich. Die Gräfin verzeiht ihm.
NICHT NUR EIN SCHALK IM NACKEN
«Weil Sie ein Herr sind, halten Sie sich für ein Genie! Adel, Vermögen, Rang … Was haben Sie dafür getan? Sie haben sich die Mühe gemacht, geboren zu werden. Nichts weiter!» Figaros Worte gegen den Grafen Almaviva sind harter Tobak. Sie fallen in der Komödie La folle journée ou le mariage von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, der Vorlage von Le nozze di Figaro. Unerhört für das Jahr 1785. Wieso wollte Mozart ausgerechnet diese Komödie vertonen? Obwohl er auf dem Gebiet der Opera buffa noch keinen Namen hatte und von der Gunst des Adels abhängig war? Mozart wusste um diese Abhängigkeit. Aber leiden konnte er den Adel nie. Mit seinem zweiten Salzburger Vorgesetzten etwa, dem Erzbischof Hieronymus von Colloredo, verstand er sich überhaupt nicht. Der Erzbischof beschimpfte ihn in einer Audienz als «Lumpen» und «Lausbuben». Worauf Mozart erwiderte: «Sind Euer Gnaden etwa nicht zufrieden mit mir?» Darauf der Erzbischof: «Was, er will mir drohen, der Lump! Dort ist die Tür! Also geh’.» Und Mozart ging. Der Streit führte so weit, dass der Kammerdiener sich weigerte, Mozarts Kündigung an den Erzbischof weiterzureichen.
«Wenn Sie tanzen wollen, Herr Graf, fragen Sie ruhig. Ich zeige es Ihnen.»Figaro
Auch während seiner Wiener Selbstständigkeit blieb Mozart von der Gunst des Adels abhängig, besonders von Kaiser Joseph II. Mit seinen Klavierkonzerten erzielte Mozart zwar sichere Einkünfte. Doch für seine Opern musste er kämpfen: Es gab immer Streit um die Frage, welcher Komponist seine Oper an der Hofoper uraufführen darf. Der kaiserliche Kapellmeister Antonio Salieri, Niccolò Piccinni, Vincenzo Righini, Vicente Martín y Soler: Die Konkurrenz war riesig. Und die Entscheidungen des Kaisers folgten oft persönlichen Neigungen. Mozart gab alles: Er hat seit 1782 drei Jahre lang über hundert Textbücher gesichtet, bis er 1785 eine Posse um La folle journée mitbekam. Emanuel Schikaneder, Impresario, Sänger und späterer Librettist der Zauberflöte, plante eine deutschsprachige Aufführung von La folle journée für den 3. Februar 1785 im Kärtnertortheater. Das Stück war geprobt, es war alles angerichtet. Doch Kaiser Joseph II. bekam es mit der Angst zu tun. Er ließ am Tag der Premiere jegliche Aufführungen verbieten.
Und was tut Mozart? Ihm saß ein Schalk im Nacken. Er wählt ausgerechnet dieses Stück, um sich auf dem Feld der Opera buffa einen Namen zu machen. Er war vom Adel und den Hofintrigen genervt und sah in dem Stück mit seinen ca. 30 Intrigen eine Möglichkeit, seine Erlebnisse mit Humor zu nehmen. Lorenzo Da Ponte, der Librettist, musste die kritischen Monologe des Figaros streichen. Der Kaiser blieb skeptisch, doch Da Ponte konnte ihn schließlich mit seinen Strichen überzeugen. Was Da Ponte sicher nicht erwähnt hat: Die Kritik gegen den Adel wurde nicht grundsätzlich gestrichen. Sie prägt vielmehr weiter das Gerüst der Oper. Bis zum Figaro war es für die französische Komödie und die Opera buffa nämlich üblich, den Adel für die gesellschaftliche Vernunft stehen zu lassen und die Bevölkerung für das Laster. Mit dem Figaro haben sich diese Verhältnisse umgekehrt. Die Zofe Susanna und der Diener Figaro stehen für gesellschaftliche Vernunft. Und der Graf für Lüsternheit und Eifersucht. Er wird zur komischen Figur. Mozarts kindlich schöne, aber auch tiefgründige Musik macht bei dem Spiel mit. Etwa sein Menuett-Rhythmus. Das Menuett galt als Sinnbild des Hoftanzes, denn es war der Lieblingstanz vom «Sonnenkönig» Ludwig XIV. Mozart bestätigt mit dem Menuett allerdings nicht die Sphäre des Adels, sondern unterläuft sie. Etwa in Figaros Arie Se vuol ballare, Signor contino. In der Arie kündigt Figaro seine Rache gegen den Grafen an. Der Menuett-Rhythmus veralbert den Adel in diesem Kontext mehr, als ihm zu huldigen. Wie Le nozze di Figaro überhaupt.
«Wach oder im Traum: Ich rede über Liebe. Mit dem Berg, den Quellen, Blumen, Gräsern … Den Winden, in denen die Wörter verwehen.»Cherubino
So steht Le nozze di Figaro für ein Zeitalter des aufsteigenden Bürgertums und des niedergehenden Adels, ein Zeitalter der Revolutionen: Die Französische Revolution 1789, die europaweiten Revolutionen von 1848/1849, die Novemberrevolution 1918 ... Das Produktionsteam um Regisseur Achim Lenz sowie Bühnenbildner und Kostümbildner Bernhard Bruchhardt verlegt das Stück daher ins Risorgimento und Sizilien um 1860, inspiriert von Luchino Viscontis Filmklassiker Der Leopard. Auch hier ist der Adel angezählt. Er wird ein Jahr später mit der Vereinigung Italiens zur Monarchie 1861 zwar ein Schlupf loch finden. Aber sein Standing ist gesunken. Das macht sich auch im Alltag bemerkbar. Die Atmosphäre ist, wie in Sevilla um 1785, schwül und erhitzt. Der Graf und Figaro sind impulsiv. Der Graf hat zwar Macht, aber keine echten Verbündeten. Marcellinas Vertrag ist zunächst sein Druckmittel, laut dem Figaro entweder seine Schulden bei Marcellina begleichen oder sie heiraten soll. Doch bald stellt sich heraus: Marcellina ist Figaros Mutter. Der Plan des Grafen hat sich in Luft aufgelöst. Einen kühlen Kopf bewahren nur Susanna und die Gräfin. Sie sind die eigentlichen Motoren der Oper, nur sie können sich intuitiv an neue Umstände anpassen. Hier zeigt sich Mozart als Feminist. Figaros Plan etwa, Cherubino verkleidet als Susanna zum Rendezvous mit dem Grafen zu schicken, geht nicht auf, denn Cherubino wird fast erwischt. Also beschließen die Damen, die Gräfin zum Grafen zu schicken, verkleidet als Susanna. Auf frischer Tat ertappt, zeigt er Einsicht, entschuldigt sich und gelobt Besserung. Sein Stern sinkt. Susannas und Figaros aber geht auf.
Torben Selk
Impressum
HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2024 / 2025, Nr. 20
GENERALMUSIKDIREKTOR Marc Niemann
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Torben Selk
QUELLEN
Höllerer, Elisabeth: Die Hochzeit der Susanna. Die Frauenfiguren in Mozarts Le nozze di Figaro. Hamburg 1995.
Levarie, Siegmund: Mozart’s Le nozze di Figaro. A critical analysis. New York 1977.
Steptoe, Andrew: The Mozart-Da Ponte operas. The cultural and musical background to Le nozze di Figaro, Don Giovanni and Così fan tutte. Oxford 1992.
Die Texte «Handlung» und «Nicht nur ein Schalk im Nacken» von Torben Selk sind Originalbeiträge für diesen Programmflyer. Zitate und Auszüge aus Gedichten wurden teils redaktionell bearbeitet.
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