Handlung
Miami, Florida, 1960er Jahre
Am Flughafen wird Frank William Abagnale Junior, ein gesuchter Hochstapler, von FBI-Agent Carl Hanratty gefasst. Bevor er verhaftet wird, fordert Frank, seine Geschichte erzählen zu dürfen.
Die Show beginnt.
New Rochelle, New York
Zu Weihnachten erhält Frank Jr. von seinem Vater ein Scheckbuch und einen Crashkurs in den Geheimnissen der Geschäftswelt. Als er auf eine öffentliche Schule wechseln muss, gibt er sich als Vertretungslehrer aus – sein erster Betrug.
Die Ehe der Eltern wird zerrüttet, und Frank Jr. flieht nach New York City, um sich ein neues Leben aufzubauen.
New York City, New York
Frank Jr. entwickelt eine Methode, gefälschte Schecks zu erstellen, die er in Banken im ganzen Land einlöst. Gleichzeitig schlüpft er immer wieder in neue Identitäten. Als er sich als Pilot bei der Pan American World Airways einschleicht, beginnt seine Karriere als Trickbetrüger. FBI-Agent Hanratty verfolgt ihn.
Los Angeles, Kalifornien
Hanratty ist Frank Jr. auf den Fersen. In einem Hotel trifft er einen CIA-Agenten, der Frank Jr. angeblich gerade verhaftet hat. Doch etwas kommt Hanratty komisch vor ...
An Heiligabend ruft Frank Jr. Hanratty an. Der Agent erkennt, dass Frank im Herzen ein einsames Kind geblieben ist, und gesteht ihm, ebenfalls allein zu sein.
Atlanta, Georgia
Frank Jr. gibt sich als Kinderarzt aus und steigt rasch zum Oberarzt auf. Doch als er sich in die Krankenschwester Brenda Strong verliebt, kommen Zweifel an seinem Leben auf.
New Orleans, Louisiana
Nach kurzem Misstrauen wird Frank Jr. in die Familie Strong aufgenommen. Er gibt sich als Arzt, Anwalt und Lutheraner aus. Kurz vor seiner Verlobung mit Brenda erfährt Frank, dass Hanratty ihn gefunden hat. Er gesteht ihr die Wahrheit.
Miami, Florida, 1960er Jahre
Zurück am Flughafen. Hanratty droht Frank Jr. mit Gewalt, wenn er erneut versucht, zu fliehen. Die Show ist vorbei.
Frank William Abagnale Junior wird zu über 10 Jahren Haft verurteilt. Doch er wird vorzeitig entlassen. Das FBI macht ihm ein Angebot: Er soll helfen, andere Trickbetrüger zu fassen. Frank und Hanratty arbeiten nun zusammen. Seltsam, aber wahr.
«Das Alter Ego eines Mannes ist nichts anderes als sein Lieblingsbild von sich selbst. Und der Spiegel in meinem Zimmer im Windsor Hotel in Paris zeigte mir genau dieses.»Frank William Abagnale Junior
Seltsam, aber wahr
So seltsam das klingt – die Geschichte des Musicals Catch Me If You Can ist wahr. Sie erzählt vom Leben eines Mannes, der die USA in den 1960ern als einer der größten Hochstapler der Geschichte in Atem hält. Und zwar mit einer Leichtigkeit, die uns glauben lässt: Der kann alles! Er weiß, wie man reich wird, ohne Geld zu haben, wie man fliegt, ohne fliegen zu können, wie man als Arzt praktiziert, obwohl man kein Blut sehen kann, und wie man das Herz einer aufrichtigen Person gewinnt, obwohl er diese nur anlügt. Natürlich wissen wir: Eigentlich kann er nichts davon. Und trotzdem glauben wir ihm. Zumindest wollen wir das. Für einen Moment. Denn ist es nicht faszinierend, unentdeckt durchs Leben zu kommen?
Ein Leben, in dem man den Schein wahrt – vielleicht sogar mehr als die eigene Wahrheit?
Was nach außen wie eine heitere Komödie wirkt, entpuppt sich im Inneren als menschliche Tragödie, die von unerfüllten Sehnsüchten und der Flucht vor dem eigenen Ich erzählt. Denn eines können Betrüger viel besser als hochstapeln: Sie erkennen und erfüllen menschliche Sehnsüchte. Auch wenn es nur kurz und zum Schein ist. In diesem Prozess werden auch die eigenen Sehnsüchte verwirklicht – und das, was als Täuschung begann, verwandelt sich langsam in den Traum eines besseren Selbst. Kein Wunder, dass Frank sich nicht nur als Arzt, sondern auch als Anwalt und bibeltreuer Lutheraner neu erfindet. Er lebt in einer Welt, in der Identität und Wahrheit untrennbar miteinander verwoben sind. Größenwahn gehört ebenso zu seinem Persönlichkeitsprofil wie Minderwertigkeitsgefühle und Geltungssucht.
Doch der entscheidende Punkt bleibt: Wie weit kann ich gehen, bevor eine Lüge zur Wahrheit wird? Wie lange lässt sich eine falsche Identität aufrechterhalten, bevor ich selbst glaube, das zu sein, was ich vorgebe? Diese Fragen beschäftigen Frank Abagnale Jr. in jeder Sekunde – und sie werden mit jeder Täuschung immer schwieriger zu beantworten. Wenn Hanratty ihm am Ende des Musicals eine Stelle beim FBI anbietet, erkundigt Frank sich sofort, ob er eine Dienstmarke bekomme. Eine verständliche Frage eines notorischen Betrügers, immerhin handelt es sich hier um eines der wenigen Original-Dokumente, das er wahrscheinlich jemals besaß. Hanratty antwortet, dass ihn etwas viel Besseres erwarte: ein Leben.
Diese Szene ist die Keimzelle des Musicals. Und sie geht damit einen Schritt weiter als Steven Spielbergs Filmvorlage von 2002, die mit Leo-nardo DiCaprio und Tom Hanks eine ähnliche Geschichte erzählt, aber den Fokus vor allem auf die klamaukigen Verfolgungsjagden und das Abenteuer legt. In der Bühnenadaption rückt hingegen die innere Zerrissenheit der Charaktere stärker ins Licht. So wie die Superhelden aus seinen Comics will Frank Jr. die Welt retten und die Kontrolle über sein eigenes Leben wiedergewinnen. Er nimmt sich den Ratschlag seines Vaters zu Herzen, über das Auftreten, die Maske und die Verkleidung zu beeindrucken. Doch dass wahre «Superkräfte» von innen kommen müssen, erfährt er auf schmerzhafte Weise in der Konfrontation mit Brenda. Ihr reines Herz und ihre Authentizität erscheinen fast unglaublich. Sie hat die Superkraft, die Frank Jr. braucht: echte Empathie.
Auch Hanratty ist für Frank weit mehr als nur der «böse Jäger» im Katz-und-Maus-Spiel. Er ist der zweite Schlüssel zu Frank Jrs. Glück. Lange bevor sie gegenseitige Sympathie füreinander empfinden, sind sich Frank Jr. und Hanratty unbewusst Halt und unbemerkte Vater- bzw. Beschützerfigur. Hier wird die eigentliche Tragödie des Stücks sichtbar: Die Erfüllung der eigenen Sehnsüchte hängt nicht nur von äußeren Erlebnissen ab, sondern von der Fähigkeit, echte menschliche Verbindungen zuzulassen und zu akzeptieren.
Marc Shaiman hüllt die Geschichte in den Glamour der 60er Jahre. Mit seiner Musik fängt er die Leichtigkeit des Lebens ebenso ein wie das schwindelerregende Tempo der kriminellen Aktivitäten. Gleichzeitig dringt er in die leisen, schmerzhaften Momente vor, in denen wahre Sehnsüchte und Ängste offenbart werden. Die Mischung aus jazzigen Rhythmen, swingenden Melodien und emotionalen Balladen schafft eine Atmosphäre, die mit den Extremen der Geschichte spielt und diese auf brillante Weise verstärkt. Auch musikalisch werden wir in das turbulente Leben eines jungen Mannes gezogen, der sich selbst verlieren muss, um zu sich zu finden.
In gewisser Weise unterscheidet sich die wahre Geschichte von der Filmversion und Bühnenadaption. Frank Abagnale Sr. war, anders als im Film und im Musical dargestellt, ein aufrichtiger Mann und kein Betrüger, der seinem Sohn das Handwerk des Hochstapelns beibrachte. Auf der anderen Seite erwähnen weder der Film noch das Musical Frank Jrs. Karriere als Soziologiedozent an der Brigham Young University. In einem Interview sagte Abagnale Jr. selbst, dass der Rest der Geschichte «zu 80-90% wahr» sei.
Und auch heute, mehr als 50 Jahre nach den Ereignissen, erzählt Frank Abagnale Jr. seine Geschichte. Mit Mitte 70 klärt er als Vortragsredner über Betrügereien auf und hilft dabei, Verbrechen zu verhindern. Dabei ist er mehr als nur das lebendige Beispiel eines Mannes, der die Grenzen von Täuschung und Wahrheit überschritt. Er hat sich selbst neu definiert und sich den «Schein fürs Leben» erschaffen – ein Leben, das er wirklich führen kann.
Am Ende bleibt die Frage: Was ist wahre Freiheit – das Leben eines Hochstaplers, der den Schein wahrt, oder das eines Menschen, der sich selbst findet? Frank Abagnale Jr. hat die Ketten seiner Täuschungen abgelegt und in der Erkenntnis, dass die eigene Wahrheit mehr zählt als der Schein, die wahre Befreiung gefunden. In der Lüge fand er seinen Weg zur Wahrheit. Und vielleicht ist das die größte Erkenntnis: Wir können uns ein Leben bauen, das uns wert ist, gelebt zu werden. Auch wenn es auf den ersten Blick wie ein Trick aussieht.
Markus Tatzig
Impressum
HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2024/2025, Nr. 15
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Markus Tatzig
AUFFÜHRUNGSMATERIAL: Die Übertragung des Aufführungsrechtes erfolgt in Übereinkunft mit MUSIC THEATRE INTERNATIONAL (www.mtishows.co.uk) durch die MUSIK UND BÜHNE Verlagsgesellschaft mbH, Wiesbaden.
Originalproduktion am Broadway von Margo Lion & Hal Luftig sowie Stacey Mindich, Yasuhiro Kawana, Scott & Brian Zellinger, The Rialto Group, The Araca Group, Michael Watt, Barbara & Buddy Freitag, Jay & Cindy Gutterman / Pittsburgh CLO, Elizabeth Williams, Johnny Roscoe Productions / Van Dean, Fakston Productions / Solshay Productions, Patty Baker / Richard Winkler, Nederlander Presentations Inc. & Warren Trepp in Zusammenarbeit mit Remmel T. Dickinson, Paula Herold / Kate Lear, Stephanie P. McClelland, Jamie de Roy, Barry Feirstein, Rainerio J. Reyes, Rodney Rigby, Loraine Boyle, Amuse Inc., Joseph & Matthew Deitch / Cathy Chernoff, Joan Steln / Jon Murray.
Die Uraufführung von CATCH ME IF YOU CAN wurde produziert von The 5th Avenue Theatre (David Armstrong, Executive Producer and Artistic Director; Bernadine Griffin, Managing Director; Bill Berry, Producing Director)
QUELLEN
Abagnale, Frank W. und Stan Redding: Mein Leben auf der Flucht. Die unglaublichen Abenteuer eines Hochstaplers. München 2001.
Kollmann, Anett: Mit fremden Federn – Eine kleine Geschichte der Hochstapelei. Hamburg 2018.
Logan, Alan C., Paula Parks und Mark Zinder: The Greatest Hoax on Earth: Catching Truth, while we can. Glass Spider Publishing 2020.
Die Texte «Handlung» und «Seltsam, aber wahr» von Markus Tatzig sind Originalbeiträge für diesen Programmflyer. Zitate und Auszüge aus Gedichten wurden teils redaktionell bearbeitet.
Urheber:innen, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.