Der Inhalt
Kaufmann Hosemann hat gerade die Verlobung seiner Tochter Clara mit dem Anwaltssohn Silvester Friesdorf bekannt gegeben, da kündigt sich sein tot geglaubter Geschäftspartner an: Frederick Rasperg, dem Clara versprochen war. Hosemann wittert ein Geschäft, ist Rasperg doch wesentlich reicher als Doktor Friesdorf.
In Fredericks Kleidern steckt jedoch dessen Schwester Beatrix, die dringend Geld braucht, um ihren flüchtigen Geliebten zu unterstützen, nachdem dieser ihren Bruder bei einem Streit erstochen hat. Ihr Diener Plietschmann ist dabei keine Hilfe, flirtet er doch lieber mit Hosemanns Bedienter Charlotte, streunt hungrig in der Stadt herum, statt vor Hosemanns Haus zu warten wie befohlen, und verdingt sich noch bei einem zweiten Herrn (der Beatrix’ Geliebter Felix ist), um endlich an etwas zu essen zu kommen.
Als jetzt noch für beide Herren Briefe von der Post abzuholen sind, obwohl Plietschmann nicht lesen kann, die Koffer von zwei Herren im selben Gasthaus untergebracht werden müssen, ohne dass die es gegenseitig merken, und als Gipfel der Verwirrung Beatrix mit Hosemann in einem Zimmer und Felix im anderen gleichzeitig ein Menu serviert bekommen sollen, ohne dass Wirt Schunke das Spiel durchschaut – als all das kulminiert, kommt selbst das ausgekochte Schlitzohr Plietschmann ins Schwitzen.
Dass Silvester durch die Straßen zieht und den vermeintlichen Rivalen Frederick Rasperg umlegen will; Clara weiß, dass Beatrix kein Mann ist, aber das nicht verraten darf; dass Charlotte und Plietschmann sich ihre Liebe gestehen und im nächsten Moment in einen üblen Streit geraten; dass Plietschmann, um nicht aufzufliegen, sowohl Felix als auch Beatrix erzählt, dass der jeweils andere tot sei – auch in diesem Durcheinander behält der «Diener zweier Herren» alle Bälle in der Luft, doch so langsam wird die Luft dünn.
Wie es sich für eine Verwechslungskomödie gehört, löst sich am Ende alles in Wohlgefallen auf und alle Liebenden finden zueinander. Wie im richtigen Leben – «das war ironisch!»
Peter Hilton Fliegel
Die Verwechslungskomödie
Die Ursprünge dieser Untergattung der Komödie reichen bis in die Antike zurück. Zwei Stücke des römischen Komödiendichters Plautus gelten als erste ihrer Art: Amphitryon und Die beiden Zwillinge. In beiden Stücken geben sich Personen als andere aus, als sie sind bzw. werden für solche gehalten, in beiden weiß das Publikum mehr als die Getäuschten oder Unwissenden im Stück, und in beiden sind das Motiv für die Täuschung entweder Liebe (mit oder ohne Sex) und Geld, das man gewinnen kann oder zu verlieren droht.
Im englischsprachigen Raum hat sich sogar der Titel der berühmtesten Vertreterin des Genres als allgemeine Bezeichnung durchgesetzt. Shakespeares Comedy of Errors steht dort für Stücke und – seit mittlerweile rund 100 Jahren – Filme wie Some Like it Hot oder ähnliche.
Für Goldoni und die «Commedia dell’arte» ist zu erwähnen, dass die Komödien des Plautus als Volkskunst auf Jahrmärkten und in Gasthäusern die Jahrhunderte überlebt haben und sich im 16. Jahrhundert im Kielwasser der Renaissance zu dieser besonderen Form der Komödie entwickelt haben. Ihren Höhepunkt erlebte die «Commedia» im 17. Jahrhundert. 1746 kam sie mit der Uraufführung von Goldonis Der Diener zweier Herren zu ihrem Ende. Mit der Verlagerung ihres «Zentrums» von Italien nach Paris (was auch mit Goldonis Umzug 1763 von Venedig dorthin zu tun hatte), überlebte die «Comédie-Italienne», wie sie jetzt hieß, noch eine Weile. Sie hatte aber zusehends mit der Zensur zu kämpfen. Nach einer kurzen Phase des Rückzugs auf die Pariser Jahrmärkte, verschwand diese einst dominierende europäische Theaterform.
Ein wichtiges Merkmal der Verwechslungskomödie ist, dass man der Handlung selten mit Logik beikommt und dass die Handlungen der Figuren einer genauen psychologischen Überprüfung nur bedingt standhalten würden. Was also macht den ungebrochenen Reiz des Genres aus?
Zum einen dürfte es daran liegen, dass Menschen in Momenten der Überforderung, sei sie durch große Eile oder einen Schwall von Emotionen ausgelöst, vorübergehend ihren «kühlen Kopf» verlieren und haarsträubend unlogische Dinge tun und sagen. Und zum anderen freuen sich Zuschauer immer, wenn ausnahmsweise die «Kleinen» mal die «Großen» aufs Kreuz legen statt umgekehrt, weil in der schnöden Realität letzteres häufiger vorkommt und auch wahrscheinlicher ist. So steht die Verwechslungskomödie wohl seit ihrer Entstehung in einer nicht aufzulösenden Spannung zwischen eskapistischer Unterhaltung und subversivem Vergnügen.
Fest steht jedenfalls, dass das Genre nicht totzukriegen ist. Die Not der Akteure im Stück steigert das Vergnügen der Zuschauer und das hohe Tempo schränkt die Möglichkeit des Nachdenkens über die wahre Identität der Handelnden ein und intensiviert die Lust am Spiel. Zu Recht gilt die Verwechslungskomödie als Königsdisziplin des Unterhaltungstheaters.
Peter Hilton Fliegel
«Für jeden kommt einmal die Stunde der Wahrheit und dann heißt es: Lügen, lügen, lügen.»Kay Neumann
Drei Fragen an Kay Neumann
Wie entsteht auf dem Theater Komik?
Durch die Erzeugung einer Erwartungshaltung, die dann gebrochen wird. So entsteht eine Spannung, die sich dann im Lachen entlädt. Wir nehmen Anteil an den Figuren, erleben ihre Katastrophen aber nicht als unsere. Die Tragödie des anderen ist die Komödie für den Betrachter. Das ist das Prinzip Bananenschale.
Du hast für das Stadttheater eine eigene Fassung des Stücks geschrieben. Was war das Ziel?
Das Ziel war und ist, großen Spaß zu haben. Kein anderes. Ich bin Hamburger und habe eine ganze Weile im Bremer Umland gelebt. Das Ziel war es, das Stück so nach Bremerhaven zu verlegen, dass die Geschichte hier spielen kann und das Publikum weiß, das es gemeint ist. Die Fassung sollten Bremerhavener Themen und Motive komödiantisch aufs Korn nehmen. Das Ensemble hat dann das seinige dazu getan.
Wir Theaterleute sagen gerne, Komödien zu erarbeiten sei harte Arbeit. Warum?
Der Erfolg einer Theaterkomödie bemisst sich im Lach-Quotienten, der sich aus Häufigkeit, Dichte und Länge der Lacher errechnen lässt. 100 ist der höchste Quotient: Die Menschen lachen immer, kommen nicht mehr zum Atmen und sterben. Bei null muss man hingegen davon ausgehen, dass das Publikum bereits verstorben ist. Beides nicht gut.
In den Proben wird am Anfang viel gelacht. Weil aber auch der beste Gag in der zigsten Wiederholung nicht mehr zündet, weil niemand mehr überrascht wird, geht der Lachquotient nach unten.
Dann heißt es Kurs halten. Dieses Durchhalten ist harte Arbeit. Stellen Sie sich vor, Sie essen gerne dänische Röllchen. Wenn Sie nur dänische Röllchen essen, werden Sie ihrer schnell überdrüssig. So ist es auch mit Gags auf dem Theater.
Die Hosenrolle
Die Bezeichnung geht darauf zurück, dass Frauen, die Männerrollen spielten, natürlich auch in Männerkleidung auftraten, was Frauen außerhalb einer Rolle bis Ende des 19. Jahrhunderts nahezu unmöglich, wenn nicht gleich verboten war. Was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass zuvor hunderte von Jahren nicht für notwendig erachtet wurde, dass das Geschlecht eines Akteurs mit dem Geschlecht der Rolle übereinstimmte. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass über weite Strecken der Geschichte überhaupt nur Männer als Schauspieler zugelassen waren. Es gab die, jeweils relativ kurzen, Phasen im antiken Griechenland und im vorchristlichen Rom, und dann ab dem 16. Jahrhundert in der «Commedia dell’arte» sowie ab dem 17. Jahrhundert in England, als Frauen gleichberechtigt mit Männern auf der Bühne standen. Große Kontinuität bestand über alle Zeiten in der Verabredung, dass Rolle und Privatperson in überhaupt keiner Beziehung zueinander stehen und deshalb alle alles spielen dürfen. Selbst in der Oper stand die Stimmlage einer Rolle nicht in direktem Zusammenhang mit dem biologischen Geschlecht der Darsteller. Frauen sangen Männerrollen und umgekehrt.
Erst im 19. Jahrhundert wurde die Hosenrolle zu einem Zeichen der Emanzipation von hergebrachten Rollenbildern. Umgekehrt wurden auch Auftritte von Männern in Frauenkleidern erst in dieser Zeit auf komische bis klamaukhafte Figuren reduziert. Auch wurden erst ab dem späten 19. Jahrhundert Rückschlüsse auf die private Person und ihre geschlechtliche Identität gezogen, wenn jemand in der Öffentlichkeit Kleidung trug, die nicht dem biologischen Geschlecht entsprach. Überhaupt entwickelte sich die Mode erst jetzt so geschlechtsspezifisch, wie wir sie immer noch kennen. Die Idee, dass das Geschlecht einer Person eine fest gefügte Identität sei und dass vom innersten Kern bis zur äußeren Erscheinung alles uniform zu sein habe, entsteht streng genommen erst zusammen mit der rigiden Sexualmoral des 19. Jahrhunderts.
Peter Hilton Fliegel
Impressum
HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2024/2025, Nr. 3
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Peter Hilton Fliegel
QUELLEN
Das Gespräch mit Kay Neumann führte Peter Hilton Fliegel.
Die Texte «Die Handlung» und «Die Verwechslungskomödie» und «Die Hosenrolle» von Peter Hilton Fliegel sind Originalbeiträge für diesen Programmflyer.