Handlung
1. Akt
Eliza Doolittle ist eine Blumenverkäuferin mit starkem Dialekt. Sie begegnet dem Phonetik-Professor Henry Higgins. Dieser wettet mit Oberst Pickering, er könne Eliza durch Sprachtraining für die höheren Kreise fit machen. Eliza zieht bei Higgins ein.
Ihr Vater Alfred Doolittle, ein notorischer Trinker, lässt sich mit fünf Pfund für seine Tochter entschädigen.
Eliza muss Higgins’ quälende Lehrmethoden durchstehen. Doch sie fruchten. Higgins lässt Eliza das Erlernte erstmals in Ascot beim Pferderennen ausprobieren. Dort lernt sie Freddy Eynsford-Hill kennen. Er verliebt sich in Eliza.
Beim Botschaftsball weiß Eliza mit den Eigenheiten der Gesellschaft umzugehen.
2. Akt
Higgins und Pickering feiern sich wegen Elizas Erfolg. Eliza ist aber sauer. Es ging Higgins nie um ihre Person.
Sie trifft auf ihren Vater, der eine üppige Jahresrente geerbt hat. So viel Geld ... macht das glücklich? Eliza merkt, wie sehr sie sich von ihrem früheren Milieu entfremdet hat. Sie findet bei Higgins’ Mutter Zuspruch. Eliza droht Higgins, mit Freddy zusammenzuziehen und verlässt Higgins. Zu dessen Überraschung lässt ihn die Trennung nicht so kalt, wie er es erwartet hätte …
Es grünt so grün
So modern My Fair Lady auch anmutet, der Stoff geht auf die Antike und Ovids Pygmalion aus den Metamorphosen zurück. Ein von der Liebe enttäuschter Bildhauer meißelt sich eine Frauenstatue nach seinen Idealvorstellungen. Er begehrt sie und wünscht sich, sie werde real. Die Göttin Venus erfüllt Pygmalions Wunsch. Diese surreale Geschichte wurde u. a. vom Schriftsteller George Bernhard Shaw bearbeitet. 1913 am Wiener Burgtheater als Pygmalion uraufgeführt, aktualisierte Shaw die Geschichte. Schauplatz ist nicht mehr das mythische Zypern, sondern das London des frühen 20. Jahrhunderts. Und der Bildhauer ist nicht mehr Pygmalion, sondern der Phonetik-Professor Henry Higgins. Dieser macht das Blumenmädchen Eliza Doolittle für die Oberschicht fit. Wie in der Vorlage verliebt sich Higgins zwar in die Frau. Aber Higgins bemerkt es kaum. So spielt Shaw mit gesellschaftlichen Klischees und Konventionen und traf damit einen Nerv. Nach ersten Erfolgen schrieb er seine Komödie 1938 um zu dem Film Der Roman eines Blumenmädchens und erhielt einen Oscar für das beste Drehbuch.
Das Werk war begehrt. Auch unter Komponist:innen. Aber Shaw wehrte sich Zeit seines Lebens gegen eine Adaption fürs Musiktheater. Schlechte Erfahrungen mit Arms and the Man von 1894 gingen dem voraus. Oscar Straus nutzte das Werk als Vorlage für seine Operette Der tapfere Soldat. Doch Shaws Ursprungswerk verlor anschließend rapide an Publikum und Einnahmen. So lehnte Shaw 1921 auch Franz Lehárs Anfrage für eine Adaption von Pygmalion für eine Operette ab: «Pygmalion ist meine beständigste Einnahmequelle. Sie hat mich während des Kriegs vor dem Ruin bewahrt und bringt mir immer noch einen Penny jede Woche. Zuzulassen, dass eine komische Oper sie verdrängt, kommt nicht in Frage.»
Nach Shaws Tod 1950 öffneten sich der Kompositionsszene aber neue Möglichkeiten. Die Rechte waren nun frei. Frederick Loewe und Alan Jay Lerner, die zuvor einzig mit Brigadoon Erfolge feiern konnten, schlugen zu. Sie komponierten zunächst berühmte Musiknummern wie Ich hätt’ getanzt heut Nacht oder Weil ich weiß, in der Straße wohnst du. Die Nummern waren von Anfang an dafür gedacht, im Ohr zu bleiben und dem Werk einen Wiedererkennungswert zu verschaffen. Anschließend reicherten sie Shaws Vorlage um einige Schauplätze wie das berühmte Ascot-Pferderennen und eine Vielzahl neuer Figuren an. Amerikanische Elemente sind in der Musik etwa durch Synkopen, Blue Notes und Barbarshop-Quartette enthalten. An letzteres erinnert das Quartett zu Beginn der 3. Nummer Wäre dit nich wundascheen? Ansonsten ist das Werk mit seinen Melodien, Harmonien und seiner Instrumentation noch stark der europäischen Operette verpflichtet. Daher wurde das Werk hierzulande oft derart verstanden, ehe sich die Gattung Musical vor allem dank der Rock-Musicals um Jesus Christ Superstar in den 1970ern stärker profilierte.
«Für Professor Higgins werde ich immer ein Blumenmädchen sein, weil er mich seit jeher wie ein Blumenmädchen behandelt. Für Oberst Pickering werde ich immer eine Lady sein, weil er mich immer wie eine Lady behandelt.»Eliza Doolittle
Für My Fair Lady aber lag das noch in weiter Ferne. Am 15. März 1956 am Broadway uraufgeführt, schufen Loewe und Lerner mit dem Werk eines der beliebtesten Musiktheaterwerke aller Zeiten. Allein die erste Produktion wurde in sechs Jahren 2.717 Mal aufgeführt. 1964 wurde das Werk verfilmt und 1965 mit acht Oscars ausgezeichnet. Der Film spielte den Warner-Bros.-Studios 72 Millionen $ ein. Für die Rechte selbst hat das Studio nur 5,5 Millionen $ ausgegeben. Auch wegen dieser Erfolge kennt man Shaws Pygmalion mittlerweile wohl eher wegen My Fair Lady – und nicht umgekehrt. Gut, dass Shaw diese Entwicklung nicht mehr miterleben musste.
Wäre dit nich wundascheen?
Machen Wohlstand und gesellschaftliches Ansehen glücklich? Dieser Frage geht das Team um Regisseur Toni Burkhardt, Bühnenbildner Wolfgang kurima Rauschning, Kostümbildnerin Susana Mendoza und Choreografin Kati Heidebrecht nach. Der Phonetik-Professor Henry Higgins trainiert Eliza Doolittle ihren Dialekt ab. Sie wird eine Dame höherer Kreise. Doch ist sie auch glücklich? Toni Burkhardt meint: «Eliza sah in dieser höheren Gesellschaft aus der Ferne zunächst etwas Funkelndes, Glitzerndes. Aber sobald sie ihr näherkommt, bemerkt sie deren harte Realität. Diese Welt ist oberflächlich. Es geht um Floskeln, Rituale, Sehen und Gesehen-Werden. Nichts ist emotional, zwischenmenschlich oder ehrlich. Bei aller Härte auf der Straße: Im Zweifel hat es immer jemanden gegeben, der auf sie aufgepasst hat. Allmählich wird sich Eliza dessen bewusst.» Auch Higgins ist im Grunde nicht glücklich mit dieser Welt. Nur scheint er im Gegensatz zu Eliza nie menschliche Nähe erfahren zu haben. Er versinkt in seinem akademischen Werk, seine Emotionen bleiben ihm verschlossen. Er quält Eliza. Doch sie öffnet ihm mit ihrer ehrlichen Art ein ungeahntes Tor, einen Weg zu seiner eigenen, von Riten und Zwängen erdrückten Gefühlswelt. Sie nähern sich einander an ...
Das Produktionsteam hebt auch den allgegenwärtigen Humor des Stücks hervor. Stepptänze und Gruppenchoreografien ahmen Elizas lebensfrohe Einstellung nach. Denn sie durchschaut die Verstocktheit der Upper Class instinktiv und weiß mit ihr zu spielen. Das hat sie von ihrem Vater Alfred, der seiner Faulheit mit einer liebenswerten Schlitzohrigkeit trotzt und sich irgendwie durchschlägt. Um seinen nächsten Kneipenbesuch finanzieren zu können, knöpft er Higgins fünf Pfund für Eliza ab. Fünf Pfund. Keinen Penny weniger. Aber och keenen mehr! So muss jede Figur einmal zeigen, was das Stück trotz allem Tiefsinn auszeichnet: Leichtigkeit, Freude und Humor.
Torben Selk
Kann denn die Kinder keiner lehren, wie man spricht?
Received Pronunciation
Die «RP», oder das «King’s English», gilt in Großbritannien als Dialekt der Oberschicht und ist aus den BBC-Nachrichten oder historischen Serien wie Downtown Abbey oder Bridgerton bekannt. Bei manchen Wörtern wie «chance», «bath» und «dance» wird das «a» betont und wie in «father» ausgesprochen.
Cockney
Das Cockney stammt aus der Londoner Arbeiterklasse im ärmeren East End. Dort hört man es noch bis heute. Das «th» verwandelt sich gerne in einen kurzen «f»-Laut. Aus «thanks» wird «fanks». Oder das «h» fällt weg. Aus «head» wird «ead».
Yorkshire
Zur Grafschaft Yorkshire gehören Städte wie Leeds oder Sheffield. Einer der größten Unterschiede zur «RP»: Wörter, die auf einem «i»-Laut enden, werden mit einem «eh» ausgesprochen. So wird aus «nasty» etwa «nasteh».
Brummie
Wer aus Birmingham stammt, spricht Brummie. In England gilt er als der hässlichste Dialekt. Ein Stereotyp? Denn Ausländer halten ihn oft für warm und melodisch. Aus dem «ey»-Laut in «take» etwa wird «ai» wie «taik». Das «ai» in «like» wiederum wird gerne zu «oi» wie «loik».
Scouse
Das nasale Scouse sprechen Liverpooler. Aus dem «ä» wie in «back» etwa wird ein «ah»-Laut. Und aus dem «k» fast das deutsche «ch». So wird «back» nicht wie «bäck» ausgesprochen, sondern wie «baach».
Impressum
HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2024/2025, Nr. 8
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Torben Selk
QUELLEN
Gabrebian, Keith: Lerner and Loewe’s My Fair Lady. New York 2016.
McHugh, Dominic: Loverly. The Life and Times of My Fair Lady. New York 2012.
Ovid: Metamorphosen. Ditzingen 2018.
Shaw, George Bernhard: Pygmalion. Suhrkamp 2023.
Die Texte «Handlung», «Es grünt so grün», «Wäre dit nich wundascheen» und «Kann denn die Kinder keiner lehren, wie man spricht?» von Torben Selk sind Originalbeiträge für diesen Programmflyer. Zitate und Auszüge aus Gedichten wurden teils redaktionell bearbeitet.
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