Vor einer riesigen Projektion eines Schmetterlings sind Peer Gynt und der Luftgeist zu sehen. Der Luftgeist, in einen schwarzen Anzug gekleidet, steht im Schein eines Lichtes zu dem er heraufblickt. Vor ihm auf dem Boden kniet Peer, der sich seine Arme schützend vors Gesicht hält.

Peer Gynt

Oper von Jüri Reinvere / Libretto vom Komponisten nach dem gleichnamigen Schauspiel von Henrik Ibsen // Uraufführung der originalen deutschsprachigen Fassung
/ in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

URAUFFÜHRUNG 3. Mai 2025 // Großes Haus

VORSTELLUNGSDAUER: ca. 2 Stunden, 45 Minuten // eine Pause nach ca. 70 Minuten

geeignet ab 15 Jahren

Einführung jeweils 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn im Vorstellungsraum

Vorstellungstermine

16.05.2025 um 19:30 Uhr Karten
25.05.2025 um 15:00 Uhr Karten
29.05.2025 um 18:00 Uhr Karten

Die Angst, etwas zu verpassen, ist so präsent wie nie. Höher, schneller, weiter. Immer besser. Immer mehr. Wir riskieren, einsam dazustehen, Gemeinschaft und Zugehörigkeit zu verlieren. Und zu Egoisten zu werden. Henrik Ibsens Antiheld Peer Gynt passiert genau das. Er ist ein Aufschneider, dessen Suche nach Ruhm, Reichtum und eigener Bestimmung erst in der Liebe einer Frau Verzeihung und Erlösung findet. Der Komponist und Librettist Jüri Reinvere formuliert in einer großen und berührenden Musiksprache zwischen Romantik und Moderne grundlegende Fragen nach Identität und Selbstverwirklichung. Was bedeutet es wirklich, man selbst zu sein?

MUSIKALISCHE LEITUNG Marc Niemann
INSZENIERUNG & BÜHNE Johannes Pölzgutter
KOSTÜME & VIDEO Tassilo Tesche
DRAMATURGIE Markus Tatzig
CHOR Edward Mauritius Münch
LICHT Katharina Konopka

 

PEER GYNT Michael Müller-Kasztelan
INGRID / GRÜNGEKLEIDETES WEIB / KRANKENSCHWESTER 1 / ANITRA / PRÖBSTIN  Kristín Anna Guðmundsdóttir
ÅSE / ALTE SOLVEIG Boshana Milkov
SOLVEIG / KRANKENSCHWESTER 2 / SOLVEIGS ERSCHEINUNG Victoria Kunze
DER ALTE VOM BERGE / VON EBERKOPF / BEGRIFFELDFELDT / FRIEDHOFSWÄRTER Ulrich Burdack
PFARRER / MONSIEUR BALLON / SCHLACHTER / HUSSEIN / PROBST Marcin Hutek
SCHMIED / HERR TRUMPETERSTRÅLE / HUHU / GEALTETER SCHMIED Andrew Irwin
DER LUFTGEIST / GRINSEKATZE Gerben van der Werf
IN WEITEREN ROLLEN Minji Kim, Wiltrud de Vries, Katharina Diegritz, Iris Wemme-Baranowski, Brigitte Rickmann, Maria Rosenbusch, Zi Hui, Heesu Kang, Darlene-Ann Dobisch, Ines Mayhew-Begg, Elena Zehnoff, Yvonne Blunk, Kathrin Verena Bücher, Sofia Revueltas, James Bobby, Patrick Ruyters, Róbert Tóth, Gustavo Oliva, MacKenzie Gallinger, Masahiro Yamada, Dong-Sung Cho, Anton Kononchenko, Daniel Dimitrov, Vladimir Marinov

Opernchor, Kinderchor und Extrachor des Stadttheaters Bremerhaven
Philharmonisches Orchester Bremerhaven

 

REGIEASSISTENZ & ABENDSPIELLEITUNG
Annika Ellen Flindt
ASSISTENZ BÜHNE & KOSTÜME Mina Purešić
ORGANISATION & STIMMBILDUNG KINDERCHOR Katharina Diegritz
STUDIENLEITUNG Hartmut Brüsch
MUSIKALISCHE EINSTUDIERUNG Jorrit van den Ham, Tonio Shiga
INSPIZIENZ Regina Wittmar
SOUFFLAGE Mahina Gallinger
REGIEHOSPITANZ & FSJ KULTUR Tyler Wefer 
EINRICHTUNG DER ÜBERTITEL Markus Tatzig

Peer Gynt

Oper von Jüri Reinvere

Handlung

1. Akt

Peer Gynt ist ein Aufschneider. Ein Fantast. Ein Träumer. Seine Geschichten sind größer als das Leben im norwegischen Dorf. Auf einer Hochzeit überschreitet er alle Grenzen: Er reißt Ingrid, die Braut eines anderen, mit sich in den Wald. Sie scheint ihm zu verfallen. Doch Peer stößt sie von sich. Er flieht in die Berge. Im Reich der Trolle begegnen ihm groteske Figuren. Peer soll die Grüne heiraten, die triebhafte, animalische Tochter des Trollkönigs. Doch Peer entkommt – vor allem sich selbst. Solveig, ein Mädchen aus dem Dorf, sucht Peer mit dessen Mutter Åse. Geduldig findet sie Verständnis für Peers wankelmütiges Treiben. Sie könnte seine Wahrheit werden. Doch Peer geht wieder. Ein Luftgeist warnt ihn: «Du fliehst nicht.» Doch Peer flieht weiter. Åse stirbt. Peer bleibt allein und verlässt seine Heimat.

2. Akt

In Marokko wird Peer Geschäftsmann, Prophet, Betrüger. Man feiert ihn als norwegischen Messias. In Rom sieht er in einem Schlachthaus Menschen, die sich aufgegeben haben. Die Macht der Zerstörung verführt ihn und legt seine brutalen Charakterzüge frei. Solveig erscheint ihm – wie eine Erinnerung an seinen Ursprung. Zerrissen landet Peer in einer Irrenanstalt in Ägypten. Er zweifelt: Wer bin ich? Was ist Wahrheit? Was ist Lüge? Ihm wird vor Augen geführt: Er ist nur ein Denkmal seiner selbst, eine Projektionsfläche für die Möglichkeiten eines gelebten Lebens. Die Grinsekatze erscheint – spöttisch und allwissend. Sie entlarvt Peers Lügen. Er bleibt allein. Zurück in Norwegen gerät Peer auf einen Friedhof. Bei Nacht wird ein junger Mann begraben. Peer ahnt: Dieses Begräbnis gilt auch ihm. Solveig erscheint. Vergangenheit und Gegenwart berühren sich für einen Moment. Die junge Solveig singt ein Schlaflied des Friedens und der Vergebung. In der späten Vereinigung mit seiner Seelenverwandten findet Peer endlich Frieden. Und seine Geschichten Unendlichkeit.

Wirklich? Wirklich.

Konzepte von Realitäten in Jüri Reinveres Peer Gynt 

Es gibt nicht die eine Realität. Zumindest nicht für Peer Gynt. Wer er ist – Hochstapler, Suchender, Lügner, Träumer, Prophet, Geschäftsmann, Seelenflüchtling – bleibt selbst am Ende seiner Reise ungewiss. Jüri Reinvere nimmt die alte Geschichte von Henrik Ibsen und treibt sie in einen Zustand radikaler Uneindeutigkeit. Die Orte verschwimmen. Die Stimmen verschieben sich. Die Sprache streckt sich, verdichtet sich, springt. So entsteht ein Werk, das sich nicht erzählt, sondern entfaltet wie ein innerer Raum: voller Widersprüche, Zerrbilder, Hoffnungsschimmer. Das immer wieder  Fragen aufwirft: Wo sind wir gerade? Im norwegischen Dorf? In Peers Kopf? Im Reich der Trolle? Im Fieber? Im Tod? Oder im Theater? 

Alles ist echt. Alles ist gemacht.

Reinveres Peer Gynt ist keine Nacherzählung von Ibsens Drama, sondern ein Werk eigener Stimme. Sprache und Musik stehen sich darin gegenüber wie zwei spiegelnde Wasserflächen: Was in der einen greifbar scheint, entgleitet in der anderen. Die Komposition verweigert sich der Ironie und durchdringt stattdessen mit neoromantischer Tiefe und seismografischer Klangfeinheit die  inneren Zustände der Figuren. Manchmal fühlt man sich an Parsifal erinnert – in der Langsamkeit, im Ernst, in der metaphysischen Geduld. Realitäten, das wird in dieser Oper schnell klar, sind Zustände. Innen und außen. Gesellschaftlich und psychologisch. Vielleicht auch musikalisch.

Peer ist viele. Und keiner.

Was Reinvere aus dem Stoff schält, ist keine stringente Lebensgeschichte, sondern eine seelische Geografie. Peer flieht nicht von Ort zu Ort, sondern von einem Selbstbild ins nächste. Er ist verkannt, verspottet, bewundert, gefeiert, einsam, überheblich, verloren – und nie ganz bei sich. Er will nicht sterben, weil er nie wirklich gelebt hat. Oder anders: nie gewusst hat, wer da eigentlich  lebt. Und so begegnet er sich selbst in Gestalten, Fragmenten, Stimmen. Solveig erinnert ihn an eine mögliche Erlösung, an Liebe, an Halt – vielleicht. Doch auch sie bleibt unerreichbar, idealisiert, ein Bild.

Musik zwischen Sein und Schein

Reinveres Musik legt sich nicht über die Figuren, sondern strömt durch sie. Sie gibt ihnen Tiefe, wo Worte zerfallen, und Weite, wo Realitäten aufeinanderprallen. Sie ist nicht Begleiterin, sondern Durchdringerin. Zwischen Orchester und Sprache öffnet sich ein Spalt – und darin blitzt die Unsicherheit auf, ob das, was wir gerade hören, erleben, empfinden, real ist oder nur Teil der Erzählung.  Vielleicht ist das die größte Stärke dieser Oper: Sie lässt sich nicht einordnen. Nicht in Zeit, nicht in Raum, nicht in Gefühl. Sie erzählt kein Leben – sie vertont eine Zersplitterung. 

Frauenfiguren als Spiegel und Verheißung 

Peer Gynts Welt ist auch eine Welt der Frauen. Sie stehen an den Rändern seiner Reise als Spiegel, Verheißung, Warnung oder Möglichkeit. Åse, seine Mutter, hält ihn fest – mit Fürsorge und Verzweiflung. Ingrid ist die, die er raubt – und nicht will. Die Grüne ist die, die ihn lockt – und vor der er flieht. Anitra ist die, die ihn anhimmelt – und bestiehlt. Und immer wieder Solveig: erst jung, dann alt, dann als Erscheinung zwischen Traum und Erinnerung. Sie ist Heimat und Projektionsfläche, Liebe und Ideal. Sie bleibt, ohne zu fordern. Sie wartet, ohne zu zürnen. Sie begegnet sich am Ende selbst: Die junge Solveig tritt der alten gegenüber. Vielleicht sind sie beide Teile derselben Sehnsucht. 

Stimmen aus einer Zwischenwelt

Zwei Figuren stechen heraus: Der Luftgeist und die Grinsekatze. Sie gehören zu keinem Ort. Sie sind nicht Mensch, nicht Troll, nicht Begleiter. Sie sind Spiegel, Warnung, Über-Ich. Und die einzigen von Reinvere hinzugedichteten Charaktere. Er komponiert die Partien für Countertenor – ein bewusster Bruch, der auch akustisch ein «Anderssein» behauptet. Denn wo sich norwegischer Ernst und Landschaftsschwere auftürmen, bricht hier ein anderer Ton ein: britischer Humor, Ironie, Distanz. Es sind Figuren, die Peer das aussprechen lassen, was er sonst nicht hören will. Vielleicht sind sie deshalb so nah an seiner Wahrheit.

Du fliehst nicht!
Wer bist du?
Ein Jemand.
Wer ...?
Du. Ich bin du.
Ein Jemand.
Ein Niemand.

Luftgeist und Peer

Die Inszenierung und das Bühnenbild von Johannes Pölzgutter nimmt dieses Changieren zwischen Wirklichkeit und Traum auf. Im Zentrum steht ein großer Holzwürfel – drei Seiten geschlossen, drei Seiten offen. Eine Projektionsfläche. Ein Innenraum. Ein Außenraum. Ein Ort, an dem Peer seine Welten baut: die norwegische Heimat, das Reich der Trolle, die Wüste Marokkos, das Schlachthaus in Rom, die Irrenanstalt in Ägypten. Die Kostüme von Tassilo Tesche spannen dabei den Bogen zwischen Realität und Symbol: Die Geschäftsmänner in Marokko etwa sind herausgeputzt, die Trolle im Wald hingegen haben keine klare Körperlichkeit. Sie scheinen eher durch Bizarres, Groteskes und Entrücktes. Videoinstallationen ergänzen die Szenerie atmosphärisch, denken den Raum weiter, brechen ihn, fokussieren ihn. Die Inszenierung will keine Antworten geben. Sie will Räume öffnen – in verschiedene Richtungen. Denn Peer Gynt ist keine griffige Geschichte. Kein geschlossenes Drama. Sondern eine Einladung, sich zu verhalten. Sich zu verlieren. Sich zu finden.

Und was bleibt?

Ein Bild. Eine Sehnsucht. Ein Blick zurück. Ein «Was wäre gewesen, wenn?» Peer kehrt zurück. Oder glaubt es. Oder wünscht es. Er will nicht in die große Masse der Belanglosigkeit zurückkehren. Und doch: Was ist von ihm geblieben? Vielleicht nur Solveigs Glaube. Oder eine Melodie. Diese Oper ist kein Porträt. Sie ist ein Spiegel, in dem sich jeder anders erkennt – flüchtig, verzerrt, aufblitzend. Und wer wirklich hinschaut, stellt sich vielleicht irgendwann selbst die Frage: Wer bin ich – und wer wäre ich gewesen, wenn ich anders gelebt hätte? 

Markus Tatzig

Impressum

HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2024/2025, Nr. 24
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Markus Tatzig

QUELLEN
Danzer, Gerhard: Dichtung ist ein Akt der Revolte. Literaturpsychologische Essays über Heine, Ibsen, Shaw, Brecht und Camus. Würzburg 1996.
Heidenreich, Achim: Symmetrik mit Riss. Der Komponist Jüri Reinvere, in: Neue Zeitschrift für Musik Bd. 179. Mainz 2018.
Ibsen, Henrik: Peer Gynt. Ein dramatisches Gedicht. Kopenhagen 1867.
Reinvere, Jüri: Peer Gynt: Oper in drei Akten. Oslo 2014.

Die Texte «Handlung» und «Wirklich? Wirklich.» von Markus Tatzig sind Originalbeiträge für diesen Programmflyer. Zitate und Auszüge aus Gedichten wurden teils redaktionell bearbeitet.

Urheber:innen, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

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Besetzung

Grußbotschaft

von Jüri Reinvere

Grußbotschaft

von Jüri Reinvere

Alle Wege führen nach Rom und so hat es auch den estnischen Komponisten und Lyriker Jüri Reinvere vor 13 Jahren in die «Ewige Stadt» verschlagen, während er gerade an der Oper Peer Gynt arbeitete.

Heute, 13 Jahre später, wandelt er auf alten Pfaden und hat es sich nicht nehmen lassen, uns allen eine Gedanken anregende Grußbotschaft, anlässlich der anstehenden Premiere der Uraufführung der deutschprachigen Fassung von Peer Gynt, zu senden.

Peer Gynt feiert am 3. Mai 2025 Premiere im Großen Haus.

Grußbotschaft von Jüri Reinvere

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