Links kniet ein Mann mit roter Nase, während eine Frau in leuchtend orangener Kleidung inmitten der Wüste steht. Hinter ihr befindet sich eine Orange

Die Liebe zu den drei Orangen

Oper von Sergei Prokofjew / Libretto vom Komponisten und Vera Janacópulos nach Wsewolod Meyerholds Adaption eines Stückes von Carlo Gozzi / deutsche Textfassung von Werner Hintze / reduzierte Orchestrierung von Philipp Haag
/ in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

PREMIERE 13. September 2025 // Großes Haus

VORSTELLUNGSDAUER: ca. 2 Stunden, 30 Minuten // eine Pause nach ca. 60 Minuten

geeignet ab 12 Jahren

Vorstellungstermine

13.09.2025 um 19:30 Uhr Karten
21.09.2025 um 18:00 Uhr Karten
04.10.2025 um 19:30 Uhr Karten
16.10.2025 um 19:30 Uhr Karten
24.10.2025 um 19:30 Uhr Karten
21.11.2025 um 19:30 Uhr Karten
28.12.2025 um 15:00 Uhr Karten

Der König ist verzweifelt, denn sein Sohn hat eine unheilbare Krankheit: Er kann nicht lachen. Alles wird versucht, um wieder Freude in sein Leben zu bringen. Ausgerechnet ein Missgeschick der bösen Zauberin Fata Morgana lässt den Prinzen schließlich aus vollem Herzen lachen – und bringt ihm einen Fluch ein. Er soll sich in drei Orangen verlieben, in denen jeweils eine Prinzessin steckt. Auf seiner Reise erwartet den Prinzen allerhand Kurioses, Magisches, Absurdes – und natürlich Komisches. Sergei Prokofjews brillante und spritzige Musik entfaltet ein farbenfrohes Unterhaltungsspektakel, das Märchenhaftes mit Satire und feinsinnigem Humor vereint.

MUSIKALISCHE LEITUNG Marc Niemann
INSZENIERUNG & BÜHNE Julius Theodor Semmelmann
KOSTÜME Devin McDonough
DRAMATURGIE Markus Tatzig
CHOR Edward Mauritius Münch
LICHT Katharina Konopka

 

KÖNIG TREFF / KÖCHIN Timothy Edlin
PRINZ Weilian Wang
PRINZESSIN NINETTA Victoria Kunze
TRUFFALDINO Andrew Irwin
PRINZESSIN CLARICE / PRINZESSIN LINETTA
Boshana Milkov
LEANDER Kai Preußker
HEROLD / PANTALON / FARFARELLO
Marcin Hutek
FATA MORGANA Meredith Hoffmann-Thomson
ZAUBERER TSCHELIO Frederic Mörth
SMERALDINA Katharina Diegritz
NICOLETTA Minji Kim
ZEREMONIEMEISTER Anton Kononchenko

Opernchor des Stadttheaters Bremerhaven
Extrachor des Stadttheaters Bremerhaven
Philharmonisches Orchester Bremerhaven

 

SZENISCHE LEITUNG MUSIKTHEATER,
REGIEASSISTENZ & ABENDSPIELLEITUNG

Annika Ellen Flindt
KOSTÜMMALEREI María del Mar Sánchez Expósito
STUDIENLEITUNG Hartmut Brüsch
MUS. EINSTUDIERUNG Jorrit van den Ham,
Tonio Shiga
INSPIZIENZ Regina Wittmar
REGIEHOSPITANZ & FSJ KULTUR
Josefine-Alicia Ocko

Die Liebe zu den drei Orangen

Oper von Sergei Prokofjew

Handlung

Prolog

Im Theater kracht es. Das Publikum ist sich uneinig, welches Stück gespielt werden soll. Die Bühnentechniker bringen Ordnung ins Chaos. Heute Abend: Die Liebe zu den drei Orangen.

1. Akt

Im Palast gibt es nichts zu lachen. Zumindest bucgt für den Prinzen, der trübselig im Bett  liegt und keinen Spaß versteht. Truffaldino soll ihn aufmuntern – bisher ohne Erfolg. 
In einem albtraumhaften Kartenspiel unterliegt der gute Magier Tschelio der bösen Zauberin Fata Morgana. Währenddessen schmie-den Prinzessin Clarice  und ihr Handlanger Leander Pläne für den Sturz der Königsfamilie.

2. Akt

Im Palast wird gefeiert. Der Prinz soll mit einem absurden Fest geheilt werden. Im Tumult mit Truffaldino geht Fata Morgana zu Boden – und der Prinz lacht! Im Zorn verwünscht die Zauberin diesen: Er soll sich in drei Orangen verlieben. Trotz  aller Warnungen macht sich der Prinz mit Truffaldino auf die Reise.

3. Akt

Im Rückenwind des Luftgeists Farfarello erreichen der Prinz und Truffaldino das Zauberschloss der Riesin Cremona. In der Küche bewacht die Köchin die drei Orangen. Mit der Hilfe des Zauberers überlisten der Prinz und Truffaldino diese, schnappen sich die Früchte und ziehen in die Wüste.
Durstig und erschöpft öffnet Truffaldino heimlich zwei Orangen, die sich als die verzauberten Prinzessinnen Linetta und Nicoletta entpuppen – und kurzerhand verdursten. Aus der dritten Orange schlüpft Prinzessin Ninetta. Eine plötzlich erscheinende Wasser-flasche ist ihre Rettung. Der Prinz ist verliebt.
Listig verzaubert Fata Morgana die Prinzessin in eine Ratte und ersetzt sie durch Smeraldina als falsche Braut.
Tschelio und Fata Morgana streiten erneut.

4. Akt

Im Palast wird Hochzeit gefeiert. Die Pläne von Fata Morgana werden durchkreuzt. Tschelio verwandelt die Ratte zurück in Ninetta.
Dieses Märchen kennt ein glückliches Ende. Vielleicht sogar für arg-lose Bösewichte.

Von der Bühne ins Unmögliche

Früchte, Wunder und Chaos im Theater 

Wenn Orangen im Spiel sind, ist alles möglich. Sollte man zu-mindest meinen. Zu absurd allein schon die Idee, eine Brücke zu bauen zwischen blauem Blut, klatschenden Hofschranzen, guten Magiern, bösen Zauberinnen und jeder Menge hohem C. Die Liebe zu den drei Orangen sprengt Märchen, Oper und Drama zugleich. 
Es ist ein Fest aus Slapstick, Satire und Zauber, eine «Anti-Oper», die sich weigert, die Regeln der Tradition zu bewahren – und dabei die Frage stellt: Was passiert, wenn das Theater sich selbst auf den Arm nimmt? Ein Abend, der schmeckt wie ein Cocktail aus Märchen, Satire und Chaos: grotesk, poetisch, märchenhaft und absurd.

Prokofjew und das Welttheater

Sergei Prokofjew, Wunderkind und später Exil-Russe, erschafft diese Welt mit viel Witz, einem Schuss Absurdität und einem streckenweise gefährlichen Augenzwinkern. Nach der Oktoberrevolution verlässt er Russland, um in den USA sein Glück zu suchen, und nimmt die Vorlage von Carlo Gozzi – ein absurdes Märchen, das auf Die drei Zitronen von Giambattista Basile zurückgeht sowie die Theaterideen des russischen Revoluzzers Wsewolod Meyerhold mit. Kurz gesagt: Aus einer alten Märchensammlung wird ein groteskes Spiel, in dem schon damals Theater gegen Theater kämpft. Meyerhold bringt Anfang des 20. Jahrhunderts sein anti-realistisches Konzept auf die Bühne, bei dem Emotionen über Bewegung, Haltung und Geste entstehen – und nicht aus dem inneren Seelenleben. Prokofjew kombiniert all das mit musikalischem Genie zu einem Fest der Theaterkunst, das Tradition und Absurdität, Ernst und Klamauk, Intrige und Märchen verbindet. Es ist gelebtes Welttheater eines Russen, der im amerikanischen Exil eine Oper auf eine italienische Vorlage schreibt – auf Französisch, damals die internationale Theatersprache schlechthin und en vogue für avantgardistische Produktionen. Die Uraufführung 1921 in Chicago scheitert zunächst: Das Publikum versteht die Mischung aus Satire, Märchen und Tragik nicht. Erst die deutsche Erstaufführung 1925 in Köln bringt den Durchbruch. Die Liebe zu den drei Orangen wird gefeiert, bevor die Pariser Inszenierung 1929 Prokofjew endlich den internationalen Erfolg und die verdiente Anerkennung verschafft.

Was in der Orange steckt?

Prokofjews Musik sprüht vor Witz, Chaos und Magie. Groteske, energische, hämmernde und lyrische Klänge stehen nebeneinander. Verbunden werden sie durch Harmonik und Rhythmik, so spritzig wie frisch gepellte Orangen. Die Partitur verschmilzt dabei nicht romantisch mit den Figuren, sondern hält klare Distanz – vielleicht ist die Liebesszene zwischen Prinz und Ninetta im 3. Akt einer der wenigen «romantischen» Momente. Die Köchin? Ein Bass, parodistisch, grotesk überhöht – Trivialität wird Kunst, Banales wird Wunder. Und dann: der Marsch. Berühmt geworden als orchestrales Markenzeichen Prokofjews, treibt er die Handlung mit kecker Rhythmik voran, fast wie ein Kompass durch das Chaos. In den schnellen, punktierten Schritten spiegeln sich Truffaldinos Possen, das rhythmische Lachen von Prinz und Hofstaat, die Verfolgung der Orangen und die absurden Intrigen diverser Thronanwärter. Der Marsch ist das verbindende Element – zwischen den einzelnen Szenen, den Figuren und dem Publikum.
Und Prokofjew? Der ist damals vom Kubismus fasziniert – deshalb wirkt die Oper wie ein buntes Mosaik: Erst aus der Ferne ist ein Ganzes zu erkennen. Jede Szene, jede Geste, jeder Ton steht für sich – und doch formt sich daraus ein orchestrales Kunstwerk voller Rhythmus, Witz und absurdem Glanz.

«Die Natur des Theaters ist so, dass es stets unvollkommene, unvollendete Dinge zeigt und zeigen muss, denn die Vollendung dieser Dinge kommt in einem Prozess zustande, in dem sich zwei Elemente begegnen: die Schauspieler und das Publikum.»

Wsewolod Meyerhold

Zwischen den Schalen und Zaubertränken

Die Figurenwelt der Orangen ist ein Kaleidoskop, das Prokofjew wie ein Miniaturtheater der Commedia dell’arte inszeniert: Jede Bewegung, jede Pose, jede Geste ist geschult, überhöht und zugleich komisch – und dennoch steckt hinter allem eine lebendige, fast menschliche Logik. Dazu überlagern sich gleich vier Erzählebenen: erstens die Auseinandersetzung um Kunst, Einfluss und Macht, zweitens die Heilung einer ernst zu nehmenden Krankheit, die als Volkskrankheit verspottet wird («Nun lach’ doch endlich mal!»), drittens das Ringen positiver und negativer Mächte um Vorherrschaft und viertens der Blick eines Publikums, das mitten im Chaos steht und die Ereignisse kommentiert. Und wer kennt sie nicht, diese Momente, in denen ein Lachen alles retten muss – ob am Hof, im Theater oder am Kaffeetisch?

Das Stadttheater als Palast
Der Regisseur und Bühnenbildner Julius Theodor Semmelmann denkt den Palast des 1. Akts als erweiterten Theatersaal, inhaltlich und optisch: Ein Palast im Palast, ein Publikum im Publikum. In einem großen Bett offenbart sich die Keimzelle der Oper wie auf dem Silbertablett. Devin McDonoughs Kostüme setzen dabei doppelte Akzente: Einerseits royale Roben, Umhänge und Clownskostüme, die die Märchen- und Hofstaatwelt behaupten, andererseits eine Gesellschaft, die sich häufig andere Gewänder überzieht, Masken wechselt und Rollen erfindet, um neue Figuren zu behaupten. Jede einzelne bewegt sich dabei zwischen Bühne und Illusion, zwischen Realität und Karikatur, zwischen Plan und Chaos. Es entfaltet sich ein Kosmos in mehreren Dimensionen: Die Oper verschmilzt Innen- und Außenraum, die Oberwelt des Hofs, die magische Zauberwelt und die rationale Außenwelt. Räume öffnen sich, schließen sich, drehen sich – immer anders, immer überraschend, fast so, als würde sich das Theater selbst im Kreis drehen.

Ein unmögliches Ende

Am Ende dieses abenteuerlichen Ritts ist man sich auf der Bühne einig: «Der König lebe hoch! Der Prinz und die Prinzessin!» Was daherkommt wie ein vom Himmel gefallenes Ende ohne Ende, ist genau das: ein Ende ohne Ende. Wie in einem Zauberspiegel verschwimmen alle Ebenen: Palast, Zauberwelt, Commedia, Märchen – und mit einem Federstrich ist alles vorbei. Märchenlogik? Vielleicht. Theaterzauber? In jedem Fall. Und vermutlich ist das der schönste Trick dieser Oper: Sie wirkt wie eine Orange, die man immer wieder neu schälen kann – mit jedem Mal anders, mit jedem Mal überraschend. So marschiert Prokofjews Oper bis heute durch die Theatergeschichte – grotesk, poetisch, scharf und verspielt zugleich. Und wenn Prinz und Ninetta nicht verheiratet sind, marschieren sie vielleicht noch heute.

Markus Tatzig

Impressum

HERAUSGEBER Stadttheater Bremerhaven
SPIELZEIT 2025/2026, Nr. 3
INTENDANT Lars Tietje
VERWALTUNGSDIREKTORIN Franziska Grevesmühl-von Marcard
REDAKTION Markus Tatzig

QUELLEN
Guillaumier, Christina: The operas of Sergei Prokofiev. Woodbridge 2020.
Morrison, Simon: Sergey Prokofiev and his world. Princeton 2008.
Morrison, Simon: The People’s Artist: Prokofiev’s Soviet Years. Oxford 2009.
Neef, Sigrid: Prokofjew-Studien. Band 7. Die Opern Sergej Prokofjews. Berlin 2009.

Die Texte «Handlung» und «Von der Bühne ins Unmögliche» von Markus Tatzig sind Originalbeiträge für diesen Programmflyer. Zitate wurden teils redaktionell bearbeitet.

Urheber:innen, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

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Besetzung

Figurinen: Linetta und Nicoletta

Aus der Kostümwerkstatt – Figurinen

Aus der Kostümwerkstatt – Figurinen

Kostümbildnerin Devin McDonough entwirft eine bunte, fantastische Welt zwischen Märchen, Satire und Opernspaß. Jede Figurine erzählt bereits eine kleine Geschichte – schräg, verspielt und voller Fantasie. Unsere Schneiderei setzt sie mit viel Liebe zum Detail um.

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Bühnenbildmodell Drei Orangen in der Wüste

Aus der Bühnenbildwerkstatt – Modellbilder

Aus der Bühnenbildwerkstatt – Modellbilder

Bühnenbildner und Regisseur Julius Theodor Semmelmann verwandelt das Theater selbst in eine Märchenwelt. Aus dem Zuschauerraum wird ein Königspalast, aus dem Alltag ein fantastisches Spiel mit Masken, Drehungen und Überraschungen. Jedes Modellfoto erzählt schon jetzt von der Magie dieses Abends – zwischen Groteske und Poesie, opulent und verspielt zugleich. Unsere Werkstätten setzen diese Ideen mit Präzision und Liebe zum Detail um.

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Selfie von Markus Tatzig, Devin McDonough und Julius Theodor Semmelmann, während sie die Orangen tragen.

Zwischen Zauberwelt und Zirkus

Interview

Zwischen Zauberwelt und Zirkus

Interview

Zwischen Zauberwelt und Zirkus: Die Liebe zu den drei Orangen in Bremerhaven

Anti-Oper? Bundesliga oder Champions League? Und: Was haben Orangen eigentlich mit Fast Food zu tun? Regisseur und Bühnenbildner Julius Theodor Semmelmann und Kostümbildnerin Devin McDonough im Gespräch mit Musiktheaterleiter und Dramaturg Markus Tatzig über Märchen, Masken, Musik und Magie.

Prokofjews Liebe zu den drei Orangen wird häufig als Anti-Oper bezeichnet. Was bedeutet das für euch?

JTS: Er sträubt sich gegen die Oper – und kämpft damit zugleich für sie. Und so kommt etwas zutiefst Opernhaftes dabei heraus: Musiktheater, das sich selbst reflektiert, das sich gleichzeitig ernst nimmt und überhaupt nicht. Für uns ist daraus fast eine Anti-Anti-Oper geworden. Ein Plädoyer für die Großartigkeit eines Abends, der das Publikum einschließt, es aus dem bloßen Zuschauen herauslöst und zu einem Fest macht: lebendig, turbulent, himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt.

DMD: Prokofjew bricht Regeln, und er tut dies mit so viel Lust, dass daraus etwas Neues entsteht. Es ist wie ein Befreiungsschlag und trotzdem ganz große Oper.

Der Festcharakter spiegelt sich im Bühnenbild. Das Theater selbst wird zum Schauplatz ...

JTS: Wir wollten nicht, dass das Publikum nur dasitzt, sondern Teil dieses Abends wird. Deshalb haben wir den Bühnenraum so gestaltet, dass er sich aus dem Zuschauerraum fortsetzt – mit der Konzertmuschel des Hauses, die viele aus den Sinfoniekonzerten kennen, und mit einem Boden, der dem Foyer-Teppich nachempfunden ist. Aus dem Theatersaal wird ein Königspalast, eine Fantasiewelt. Man sitzt nicht vor dem Fernseher, sondern ist mittendrin im Märchenbuch.

DMD: Und wenn das Theater selbst zur Bühne wird, dann sind die Menschen im Theater, das Publikum, der Chor, genauso Teil dieser Welt wie Königshof oder Zauberreich. Alles verschmilzt.

Zu Beginn der Oper wird gestritten, was man hören und sehen möchte, was gute Kunst ist, was wahre ... was Bundesliga ist und was Champions League, wenn man so will: Tragödie, Komödie, Drama. Ein uralter Genrestreit, der das Publikum sofort abholt.

JTS: Total. Wir wollen lachen, aber gleichzeitig auch Tiefgang. Das Stück spielt mit diesen Wünschen, die sich ständig widersprechen. Es ist wie Zappen im Fernsehen oder Scrollen durch Social Media: Kaum hat man sich auf eine Stimmung eingelassen, kippt es ins Gegenteil. Diese Unberechenbarkeit macht den Reiz aus.

DMD: Nach der Tafel Schokolade braucht man Pommes, nach den Pommes ein Eis und dann wieder einen Braten. So funktioniert auch die Abfolge der Szenen: immer neu, immer anders.

Die Kostüme greifen diese Vielschichtigkeit auf: märchenhaft, grotesk, absurd, alltäglich ...

DMD: Wenn man durch die Schneiderei geht, hängen Welten nebeneinander: die Zauberwelt von Fata Morgana, Tschelio und Farfarello, inspiriert von Harry Potter, Herr der Ringe, Zauberer von Oz – groß, übertrieben, theatral. Dann das Königshaus: pompös, aber mit groteskem Dreh und Bezügen zum britischen Königshaus. Als dritte Welt haben wir die von Truffaldino und Smeraldina: aus der Commedia dell’arte, bei uns richtige Clowns, fast Zirkuswesen. Und schließlich der Chor: ein überzeichnetes Publikum, das auf die Bühne stürmt und Teil der Handlung wird.

JTS: Unser Abend lebt von dem fantastischen Bremerhavener Ensemble und den Gästen, die mit Spielfreude, Mut und Präzision jede Welt, und sei sie noch so absurd, trägt und füllt.

Und die drei Prinzessinnen, die aus den Orangen schlüpfen?

DMD: Jede von ihnen ist ganz individuell. Wir wollten keine drei identischen Figuren. Deshalb haben wir Epochen gewählt, in denen Frauen besonders eingeschnürt waren – Elisabethanisch, Biedermeier, 20er Jahre. Sie treten wie frisch geschält auf, in mehreren Schichten Unterkleidern, fast wie Fruchtfleisch.

JTS: So hebt sich das Sterben der ersten beiden Prinzessinnen auf eine andere Ebene. Jede bringt ihre eigene Persönlichkeit mit, von streng über puppenhaft bis emanzipiert.

Und die Orange selbst? In der Kulturgeschichte ist sie mehr als nur Obst.

JTS: Die Zitrusfrucht war und ist eine Sehnsuchtsfrucht. In Europa wird sie spät entdeckt und sofort aufgeladen mit Mythen. Die goldenen Äpfel der Hesperiden, die plötzlich real werden. August der Starke baut Orangerien, Ludwig XIV. ganze Paläste. Die Orange ist Machtsymbol, Luxusobjekt, Exotik pur, bevor sie irgendwann für fünfzig Cent im Supermarkt liegt.

DMD: Und genau diese Mischung aus Luxus und Alltäglichkeit steckt im Stück. Eine Orange kann Schatz, Verheißung, Tod oder Liebe bedeuten. Alles zugleich.

Und mitten in diesem Kosmos steht Prokofjews Musik. Keine Arien, keine Ouvertüre, dafür Tempo, Slapstick, Brüche.

JTS: Die Musik gibt alles vor. Szenen dauern manchmal keine zwei Minuten. Ein rasantes Tempo, das unserem heutigen Lebensgefühl entspricht. Prokofjew zeigt, was er kann. Wie auf einer Tupperware-Party der musikalischen Ideen: «Das kann ich auch, und das, und das.» Man spürt die Energie eines jungen Komponisten, der endlich frei atmen kann.

DMD: Und gleichzeitig ist die Musik sinnlich. Grotesk, ja, aber immer mit einem lyrischen Kern. Manchmal fühlt es sich fast an, als ob Prokofjew mit uns spielt.

Das Stück lädt auch ein, über eigene Maßstäbe nachzudenken – über Lachen, Gut und Böse, Stärke und Schwäche.

JTS: Definitiv! Der Prinz wirkt vielleicht lächerlich, weil er nicht lachen kann. Aber wer kennt nicht Momente, in denen man nicht aus dem Bett kommt, in denen alles zu viel ist? Humor und Nachdenklichkeit greifen hier ineinander. Auch, wenn es manchmal weh tut.

DMD: Und gerade, weil es lustig und bunt ist, kann es uns berühren. Lachen öffnet die Tür, damit etwas Tieferes nachklingen kann.

Am Ende eine kleine Fantasie: Wir sitzen mit Prokofjew beim Mittagessen. Was sagt ihr ihm?

JTS: Ich würde mich bedanken. Für Peter und der Wolf, das mich zur Musik gebracht hat. Für dieses Stück, das ich hier mit diesem Ensemble inszenieren darf.

DMD: ... und wir würden ihn natürlich zur Premiere einladen.

Die Fragen stellte Markus Tatzig.

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